Blessed - Für dich will ich leben (German Edition)
ein toller Kerl ist. Ganz versteckt zwar, aber ...“
„Versteckt?“, hakte Kath y nach. „Wenn man sich versteckt, muss man sich dann nicht ab und zu auch mal zeigen? Sonst ist man verschollen, oder? “
Nun empörte sich Lucy mit mir und ergriff energisch Partei : „Noah hat seinen guten Kern immer wieder gezeigt. Trotzdem hat ihm nie jemand eine Chance gegeben. Ist doch klar, dass er sich mit der Zeit immer weiter abgekapselt hat.“
Sie diskutierten noch eine Weile lang weiter; dazu brauchten sie mich offenbar nicht. Es war reizend, wie Lucy ihren Bruder verteidigte, und je länger ich ihren Worten lauschte, desto tiefer schloss ich sie in mein Herz.
Kathy hingegen ließ weiterhin kein gutes Haar an Noah. So recht konnte ich es ihr nicht verübeln; eigentlich fand ich ihre Sorge, die einzig und allein mir galt, sogar richtig süß. Kathy war so loyal wie man nur sein konnte. Eine wahre Freundin. Sie ging wahrscheinlich davon aus, dass Lucy einfach zu ihrem Bruder hielt und wurde nicht müde, mir zu raten wachsam zu bleiben. Sie traute dem Braten nicht, soviel stand fest.
Nach einer Weile rückten ihre Worte jedoch immer weiter in den Hintergrund und verschwammen dort mit Lucys Glockenstimme zu einem belanglosen Einheitsbrei, dem ich meine Aufmerksamkeit bald vollständig entzog. Stattdessen starrte ich an die Zimmerdecke und lauschte meinem eigenen Herzschlag, der stark und noch immer ein wenig holprig vor sich hin galoppierte.
„... und dann zieht sie sich tatsächlich den Rock hoch und pinkelt in den liebsten Rosenstrauch meiner Mutter.“ Lucys Lachen zog mich aus meiner Versunkenheit. Erleichtert bemerkte ich, dass die Mädels endlich das Thema gewechselt hatten. Nun drehte ich mich ihnen auch wieder zu und lauschte verwundert Lucys Erzählungen über die Peinlichkeiten, die sich eine vollkommen betrunkene Holly Curtis geleistet hatte.
Verrückt, dass Noah ihre Blamage so treffend vorhergesagt hatte.
Als die beiden Mädchen schon lange schliefen, lag ich noch immer hellwach auf meiner Matratze und starrte in die Dunkelheit, die für mich nicht dunkel war. Klar und deutlich schwebte Noahs Gesicht über mir. Wie er mich angesehen hatte, so intensiv und eingehend, als würde er bis auf den Grund meiner Seele blicken. Was er wohl zu erkennen versucht hatte? Fragte er sich, ob ich ihm früher oder später auch wehtun würde? So, wie die Menschen in seiner Kindheit? Was hatten sie ihm angetan? Wenn er jetzt so atemberaubend schön war, wie musste er erst als Kind ausgesehen haben – mit riesigen hellen Augen und süßem Schmollmund.
Ich stellte ihn mir mit etwas längeren, hellblonden Haaren vor. Wie hatten sie diesen kleinen Engel verletzen können? Meine Verzücktheit schwankte bedrohlich und wandelte sich unter diesen Gedanken zunehmend in wütende Verzweiflung.
Ich wünschte mir zu wissen, was ihm widerfahren war, auch wenn sich ein Teil von mir (ein ziemlich großer Teil) extrem vor der Wahrheit fürchtete. Denn eines war mir an diesem Abend schmerzlich bewusst geworden – und zwar in den Minuten, in denen Noahs Augen non-stop zu mir sprachen, während er de facto kein einziges Wort über die Lippen brachte: Er war zutiefst verletzt.
Noah fühlte sich unsicher, traurig, verzweifelt und vor allem sehr verängstigt. Und nur daraus resultierte seine Wut. Sie war sein Schutzschild. Ein verdammt dünnes.
Ich begann mich hin und her zu wälzen, doch der Schlaf kam nicht, so sehr ich ihn mir auch herbeiwünschte. Schließlich würde ich Noah in wenigen Stunden schon wiedersehen und hatte keine Lust, dabei wie eine Schleiereule auszusehen.
Doch meine wirbelnden Gedanken, die nach wie vor mit den schwer verdaulichen Eindrücken und Erlebnissen des vorangegangenen Abends kämpften, ließen mich einfach nicht zur Ruhe kommen.
Dazu kam die Vorstellung von Noah, wie er genau jetzt, in diesem Moment und nur wenige Wände entfernt, in seinem Bett lag und ebenfalls nicht schlafen konnte. Ich war mir sicher, dass es so war.
„Ich bin so müde, Emily.“ Seine Worte hallten in meinem Kopf wider und klangen dort so verzweifelt nach, dass es meinem Herz einen Stich versetzte. Dieser Schmerz war das Letzte, an das ich mich später noch erinnerte, denn irgendwann musste ich doch eingenickt sein.
Ein weit entferntes Kichern drang in mein Bewusstsein und ließ mich hellhörig werden, noch bevor ich meine Augen öffnete. Während ich dem Gemurmel meiner Freundinnen lauschte – das leider zu leise war,
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