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Blicke windwärts

Blicke windwärts

Titel: Blicke windwärts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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durchsetzten Strom geworfen. Der Sturz war nicht tief genug, um alle alten Männer zu töten, und einige litten und stöhnten den ganzen Tag lang bis tief in die Nacht, bis sie schließlich vor Sonnenaufgang des darauf folgenden Tages in der Kälte starben. Zwei Tage später hatte eine Einheit von Loyalistentruppen den Komplex wieder eingenommen und die Unsichtbaren gepeinigt, bevor sie ihre Anführer bei lebendigem Leib verbrannten.
    Überall war es die gleiche Geschichte von Schrecken, Schlechtigkeit und zunehmenden Gräueltaten. Der Krieg hatte weniger als fünfzig Tage gedauert; bei vielen Kriegen – den meisten, selbst jenen, die auf einen einzigen Planeten begrenzt waren – dauerte es länger, bis sie überhaupt richtig ausbrachen, weil zuerst die Mobilmachung stattfinden musste; Streitkräfte mussten ordentlich formiert werden, eine Kriegslogistik innerhalb der Gesellschaft musste geplant werden, und Territorien mussten angegriffen, eingenommen und konsolidiert werden, bevor die eigentlichen Angriffe vorbereitet und der Feind ins Visier genommen werden konnte. Ein Krieg im Raum und zwischen Planeten und Habitaten jeglicher Anzahl konnte theoretisch innerhalb weniger Minuten oder sogar Sekunden wirkungsvoll vorüber sein, dauerte für gewöhnlich jedoch Jahre und manchmal Jahrhunderte oder Generationen, um eine Entscheidung zu bringen, beinahe ausschließlich abhängig vom technischen Niveau, das die beteiligten Zivilisationen erreicht hatten.
    Der Kastenkrieg war anders abgelaufen. Dabei hatte es sich um einen Bürgerkrieg gehandelt, eine Spezies beziehungsweise eine Gesellschaft hatte gegen sich selbst Krieg geführt. Solche Kriege gehörten bekanntermaßen zu den schrecklichsten Auseinandersetzungen, und die anfängliche Nähe der Streit führenden, die in der gesamten zivilen und militärischen Bevölkerung auf buchstäblich jeder institutionellen und wirtschaftlichen Ebene verteilt waren, bedeutete, dass dem Konflikt eine Art explosive Grausamkeit innewohnte, und zwar beinahe vom ersten Augenblick an, da er begann, wodurch die erste Welle von Opfern vollkommen überraschend dahingerafft wurde: hochgestellte Familien wurden im Bett mit Messern erstochen, ohne dass sie sich eines real existierenden Problems bewusst gewesen wären; ganze Wohneinheiten von Dienern wurden hinter verschlossenen Türen vergast, fassungslos, weil ausgerechnet jene, denen sie in Hingabe ihr Leben gewidmet hatten, sie ermordeten, Passagiere oder Fahrer in Autos, Schiffskapitäne, Flugzeug- oder Raumschiffkapitäne wurden plötzlich von den Personen, die neben ihnen saß, angegriffen, oder sie waren selbst diejenigen, die angriffen.
    Das Kloster Cadracet an sich hatte den Krieg verhältnismäßig unversehrt überstanden, obwohl es kurzzeitig besetzt gewesen war; einige Räume waren verwüstet worden, ein paar Ikonen und heilige Schriften waren verbrannt oder entweiht worden, aber es war wenig struktureller Schaden entstanden.
    Quilans Zelle lag im hinteren Teil des dritten Innenhofs des Gebäudes, mit Ausblick auf die gefurchte, gepflasterte Straße zu den feuchtgrünen Bergen und dem unvermittelten Gelb der dürren Seufzerbäume. Seine Zelle enthielt ein Ringelpolster auf dem Steinfußboden, einen kleinen Schrank für seine persönlichen Habseligkeiten, einen Stuhl, einen schlichten Holzschreibtisch und einen Waschtisch.
    In der Zelle war keine Form der Kommunikation erlaubt, außer Lesen und Schreiben. Das Erstere musste mittels Schreibstrang-Rahmen oder Büchern durchgeführt werden, das Letztere – für all jene, die wie er keine Möglichkeit hatten, Schreibstränge zu knoten, zu drehen oder zu flechten – war begrenzt auf den Gebrauch von losen Papierblättern und einem Tintenfederhalter.
    Das Sprechen mit einer anderen Person in der Zelle war ebenfalls verboten, und bei strenger Auslegung der Regeln musste sogar ein Mönch, der mit sich selber redete oder im Schlaf laut schrie, dieses Vergehen dem Klosterabt beichten und als Bestrafungen irgendwelche zusätzlichen Pflichten übernehmen. Quilan hatte schreckliche Träume, wie er sie schon seit seines Aufenthalts im Hospital von Lapendal gehabt hatte, und häufig wachte er mitten in der Nacht von Panik übermannt auf, aber er wusste nie genau, ob er geschrien hatte oder nicht. Er fragte Mönche in den Nachbarzellen; sie behaupteten, nie etwas gehört zu haben. Er glaubte ihnen, im Großen und Ganzen.
    Sprechen war vor und nach den Mahlzeiten erlaubt und während bestimmter

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