Blinde Wahrheit
entschuldigen und sie um eine zweite Chance bitten wollte, tja, dann musste er ihr wohl Antworten auf ihre Fragen geben.
»Ich hab vor sechs Monaten eine Kugel abgekriegt. Deswegen bin ich beurlaubt«, begann er gedehnt.
Sie schwieg für eine Weile. »Sechs Monate, das ist eine ganz schön lange Zeit. War … War es schlimm?«
Er zuckte erst mit den Schultern, zog dann jedoch kritisch die Augenbrauen zusammen. Schulterzucken, Nicken, diese ganze Körpersprache brachte nicht viel, wenn der Gesprächspartner blind war, oder? Seufzend fuhr er sich mit einer Hand übers Gesicht. »Jedenfalls schlimm genug, dass ich mir nach zwei Operationen, Physiotherapie und dem ganzen anderen Mist eine kleine Auszeit genommen habe. Aber es ist wiederum nicht so schlimm, dass ich deswegen gleich den Job an den Nagel hängen würde.«
»Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass du gerade nicht genau weißt, ob du ihn wirklich behalten willst«, entgegnete sie sanft.
Blut … Blut an seinen Händen …
Ein Bild von Mac tauchte vor seinem geistigen Auge auf, und er wartete auf den damit verbundenen Schmerz, der ihm immer wieder schier die Luft abzuschnüren drohte, rechnete fest mit diesem schleichend eintretenden, fiesen Schwall von Schuldgefühlen.
Da war es. Er verspürte ein kurzes Stechen im Herzen. Dieses Mal schien ihn die Flut an Schuldgefühlen zwar nicht zu überwältigen, aber dennoch fühlte er, wie sich ihm der Magen umdrehte.
Das Blut … Scheiße, all dieses Blut!
Verflucht, verflucht, verflucht! Er bedeckte die Augen mit den Händen und versuchte diese Bilder aus seinem Kopf zu kriegen. Mac – er hörte ihr Lachen, musste daran denken, wie viele Stunden sie an seiner Seite, wie viele Nächte sie in seinem Bett verbracht hatte.
Hör auf damit!
Verdammt, er musste aufhören, daran zu denken – er musste einfach. Wie wollte er auch nur den Hauch einer Chance bei Lena haben, wenn ihn das schlechte Gewissen wegen der Sache mit Mac innerlich fast auffraß? Hör auf damit , befahl er sich noch einmal. Sofort!
Wenn es doch nur so einfach wäre.
Er stand auf, stellte sich ans Fenster und starrte in den Vorgarten hinaus. Wie leuchtende Tupfen umrahmten zahlreiche Blumen eine große Eiche, die eines der Beete genau in der Mitte schmückte.
»Ich weiß es auch nicht«, gab er schließlich zu. »Ich wollte schon immer Polizist sein, verstehst du? Schon als kleiner Junge. Damals habe ich noch nicht ganz verstanden, warum, aber mit der Zeit ist es mir langsam klar geworden. Es steckte einfach in mir. Ich wollte etwas bewirken. Wollte Menschen helfen.«
Dann seufzte er und rieb sich den Nacken. Eine Verspannung kündigte sich an, und mit ihr würde er sicher Kopfschmerzen bekommen. »Aber wenn du etwas verändern und Menschen helfen möchtest, dann erfährst du manchmal Dinge, die du eigentlich gar nicht wissen willst. Und ich versuche immer noch, mit genau so einer Sache fertigzuwerden. Sollte ich es nicht schaffen, kann ich nicht wieder anfangen zu arbeiten. In diesem Zusammenhang gilt es herauszufinden, ob das überhaupt noch mein Wunsch ist.«
Lena schwieg einen Moment lang. »Sag mir, wenn ich zu aufdringlich bin. Aber war da … war da eine Frau im Spiel?«, fragte sie leise.
»Ähm … wie kommst du darauf?«, entgegnete Ezra heiser.
»Irgendetwas in deiner Stimme sagt es mir. Vielleicht ist es auch nur so ein Bauchgefühl. Keine Ahnung. Und da du nicht gleich mit Nein geantwortet hast, habe ich wohl recht.« Sie zog ein Bein an und legte das Kinn auf ihr Knie. »Ezra, ich mag dich. Und zwar sehr. Und ja, mir ist bewusst, dass wir ständig von Freundschaft reden, aber du weißt wohl genauso gut wie ich, dass es zwischen uns gewaltig knistert und dass daraus auch mehr werden könnte.« Sie befeuchtete ihre Lippen. »Stimmt’s?«
»Ja, schon.«
»Gut. Dann sag mir die Wahrheit. Wenn du einer Frau hinterhertrauerst, die du durch deine Arbeit verloren hast, dann muss ich das wissen. Ich hab keine Lust, mich auf einen Kerl einzulassen, der sich über eine verflossene Liebe hinwegtrösten will.«
Er lachte auf – das tat weh, als hätte er sich an einer Glasscherbe verschluckt. »Trösten … So ein Blödsinn! Glaub mir, ich will mich nicht trösten. Das Letzte, an was ich gedacht habe, als ich nach Ash gekommen bin, war, mich in jemanden zu verlieben. Das Letzte, was ich wollte, war, jemanden zu treffen … wie dich. Du, das alles hier, verdammt, das ist irgendwie einfach so passiert.«
Seufzend lehnte er
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