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Blinde Weide, Schlafende Frau

Titel: Blinde Weide, Schlafende Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Spielzeug. Wahrscheinlich habe ich ihn zu sehr verwöhnt , sagte sich Sachi. Ihm zu viel Taschengeld gegeben. Ich hätte strenger sein sollen . Allerdings hatte sie keine konkrete Vorstellung davon, wie sie hätte strenger sein können. Ihre Arbeit hatte sie immer sehr in Anspruch genommen, und sie verstand zu wenig von Jungen – von ihren Seelen und ihren Körpern.

    Als Sachi eines Abends im Restaurant am Klavier saß, kamen die beiden jungen Surfer herein. Seit ihrer Ankunft in Hanalei waren sechs Tage vergangen. Sie waren braun gebrannt und wirkten robuster.
    »Oh, Sie spielen Klavier!«, rief der Stämmige.
    »Und sogar gut, Sie sind sicher Profi«, sagte der Lange.
    »Ich spiele zum Vergnügen«, sagte Sachi.
    »Kennen Sie was von den B’s?«
    »Nein, kenn ich nicht«, antwortete Sachi. »Ich dachte, ihr habt kein Geld? Wie könnt ihr euch dann so ein Restaurant leisten?«
    »Ich hab doch die Diner’s-Club-Karte«, erinnerte sie der Lange.
    »Aber die ist doch nur für Notfälle!«
    »Ach, egal. Mein Alter hatte Recht: Wenn man sie einmal benutzt, gewöhnt man sich daran.«
    »Stimmt, dann kannst du es dir ja jetzt bequem machen«, sagte Sachi.
    »Wir wollten Sie zum Essen einladen«, sagte der Stämmige. »Um uns zu bedanken. Sie haben uns so viel geholfen. Außerdem fliegen wir übermorgen nach Hause.«
    Sie setzten sich zusammen an einen Tisch.
    »Genau, wenn es Ihnen Recht ist, könnten wir jetzt zusammen essen«, sagte der Lange. »Wir können auch Wein nehmen. Wir laden Sie ein.«
    »Ich habe schon gegessen«, sagte Sachi und hob ihr Rotweinglas. »Und der Wein hier geht aufs Haus. Aber ich bedanke mich für die gute Absicht.«
    In diesem Moment kam ein großer Mann, ein Weißer, an ihren Tisch und stellte sich neben Sachi. Er hatte ein Whiskeyglas in der Hand. Er war Anfang vierzig mit kurz geschnittenem Haar. Auf einen seiner Arme, die etwa den Umfang von Telefonmasten hatten, war ein großer Drache tätowiert. Darunter standen die Buchstaben USMC – United States Marine Corps. Das blässliche Tattoo schien schon älter zu sein.
    »Hey, Sie spielen gut Klavier«, sagte er.
    »Danke«, sagte Sachi nach einem Blick auf sein Gesicht.
    »Japanerin?«
    »Sicher.«
    »Ich war auch mal in Japan. Ist lange her. Zwei Jahre auf Iwakuni.«
    »Aha. Ich habe zwei Jahre in Chicago gelebt, auch vor langer Zeit. Da haben wir ja was gemeinsam.«
    Der Mann überlegte kurz. Dann nahm er es für einen Scherz und lachte.
    »Spielen Sie was für mich. Was Schmissiges. Kennen Sie ›Beyond the Sea‹ von Bobby Darin? Ich will singen.«
    »Ich arbeite nicht hier. Im Augenblick unterhalte ich mich mit den beiden jungen Männern hier. Der schlanke Herr mit dem schütteren Haar da drüben ist der Pianist. Wenn Sie einen Wunsch haben, fragen Sie ihn doch mal. Und vergessen Sie das Trinkgeld nicht.«
    Der Mann schüttelte den Kopf. »Dieser Spinner kennt doch nur Schwulenmusik. Ich will, dass Sie etwas für mich spielen. Ich gebe Ihnen zehn Dollar.«
    »Nicht mal für fünfhundert«, sagte Sachi.
    »So ist das also?«, sagte der Mann.
    »Genau so«, gab Sachi zurück.
    »Dann erklären Sie mir mal, warum ihr Japse euch nicht selber verteidigen könnt? Wieso müssen wir nach Iwakuni kommen und euch schützen?«
    »Und deshalb soll ich gefälligst den Mund halten und Klavier spielen?«
    »Ganz recht«, sagte der Mann. Dann warf er einen Blick auf die Jungen am Tisch. »Ach, und wen haben wir denn da? Extra zum Surfen aus Japsenland nach Hawaii gekommen, die kleinen Scheißer. Im Irak …«
    »Da hab ich doch mal eine Frage«, unterbrach ihn Sachi. »Die ganze Zeit frage ich mich …«
    »Immer raus damit.«
    Sachi hob den Kopf und sah den Mann gerade an. »Ich frage mich schon die ganze Zeit, wie jemand so wird wie Sie. Sind Sie so geboren worden, oder sind Sie irgendwie traumatisiert? Sagen Sie es mir.«
    Der Mann dachte kurz nach und knallte dann sein Whiskeyglas auf den Tisch. »Jetzt passen Sie mal gut auf …«
    Auf den Lärm eilte der Restaurantbesitzer herbei. Er war nicht groß, aber er nahm den Ex-Marine an seinem dicken Arm und zog ihn fort. Offensichtlich kannten sie sich, und von ein paar Schimpfwörtern abgesehen leistete der Mann keinen Widerstand.
    »Tut mir leid«, entschuldigte sich der Besitzer kurz darauf. »Eigentlich ist er kein übler Kerl, aber er verträgt keinen Alkohol. Ich passe jetzt auf ihn auf. Darf ich Ihnen auf Kosten des Hauses etwas bringen? Bitte vergessen Sie den Vorfall.«
    »Macht

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