Blinde Wut
hatte?«
»Ja.«
»Herr Schäder behauptet aber, er hatte kein sexuelles Verhältnis mit ihr.«
»Herr Schäder?«
»So heißt der Mann, der bei den Däublers ein- und ausgegangen ist. Klaus Schäder.«
»Und er war nicht ihr Liebhaber?« fragte sie ungläubig und schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht«, fuhr sie dann fort, »Frau Reichert meint auch…«
»Ja«, unterbrach Lutz sie, »ich habe schon mit Frau Reichert gesprochen. Von Ihnen würde ich gerne erfahren, ob Sie nur vermuten, daß die beiden etwas miteinander hatten, oder ob Sie es wissen.«
Frau Kronbeck mußte nachdenken und stellte dann eine Gegenfrage: »Steht dieser Schäder unter Tatverdacht?«
»Nein.«
»Dann kann es Ihnen doch egal sein, ob er der Geliebte war oder nicht.«
Lutz schaute sie eine Weile nachdenklich an. »Sehen Sie, Frau Kronbeck«, erklärte er dann, »es geht mir um das Tatmotiv. Ich muß herausfinden, warum Däubler seine Frau erschossen hat.«
»Sie müssen, Herr Lutz? Wer zwingt Sie denn, im Dreck rumzuwühlen und…«
»Augenblick!« unterbrach Lutz sie. »Glauben Sie wirklich, ich mache das zu meinem Vergnügen? Die Strafprozeßordnung und das Polizeiaufgabengesetz zwingen mich dazu. Ich bin gehalten, alle Fakten zu sammeln, die der Richter später braucht, um ein gerechtes Urteil zu fällen. Wenn Däubler vorsätzlich und aus niedrigen Beweggründen getötet hat, droht ihm eine lebenslängliche Haftstrafe, und wenn er schuldunfähig war, kann er überhaupt nicht verurteilt werden. Dazwischen gibt es alle möglichen Facetten: Totschlag, vorsätzlich oder im Affekt, fahrlässige Tötung, Tötung auf Verlangen, und bei allen schwere und minder schwere Fälle. Und jede dieser Varianten hat eine andere Strafe zur Folge. Können Sie mir sagen, welche von allen diesen Möglichkeiten auf Däubler zutrifft? Nein? Ich auch nicht. Noch nicht!«
Lutz hatte sich in Rage geredet und heftig gestikuliert. Anne legte beruhigend ihre rechte Hand auf seine linke, und in diesem Moment ging die Tür auf. Max Kronbeck erschien auf der Bildfläche und blieb wie angewurzelt stehen.
Kronbeck hatte den Abend mit seinen Stammtischbrüdern in seiner Stammkneipe verbracht. Lauter nette Kumpel waren das, die sich in ihrer Gesamtheit für eine Vereinigung von Fachleuten mit höchstem Sachverstand hielten. Der eine kannte sich in der Politik aus, wußte, wo der Pfeffer wächst und wo der Barthel den Most holt; der andere war ein Spezialist für Autos, der alles über Hubraum, Radaufhängung, Einspritzdüsen und Bremskraftverstärker herbeten konnte; wieder ein anderer fühlte sich als Anlaufstelle für alle Bauwilligen und hatte sämtliche Baunormen im Kopf. Und einer, der sich mit den Frauen auskannte und genau wußte, was sie brauchten und wie sie zu behandeln waren, durfte auch nicht fehlen. Im Grunde gab es keine Fachrichtung, die hier nicht vertreten war, und so unterschiedlich ihre Gebiete auch waren, hatten alle diese Männer eines gemeinsam, nämlich ihren Mitteilungsdrang, was dazu führte, daß alle immer auf einmal sprachen und keiner dem anderen zuhörte.
Kronbeck hatte an diesem Abend nichts zu sagen und er war auch nicht in der Lage, den anderen zuzuhören. Ein Problem beschäftigte ihn, das mit dem letzten Gewitter aufgetaucht war, das ihm Angst verursachte und alle seine anderen Gedanken in den Hintergrund drängte: Kronbeck befürchtete, impotent geworden zu sein.
Das Bier wollte ihm heute nicht schmecken, und er dachte an den Trollinger, den er sich vom Vorabend aufgespart hatte. Als die anderen alle ein Bier zuviel intus hatten, die Themen anfingen, sich im Kreis zu drehen und eine zähklebrige Stimmung sich breitmachte, die die Männer bis weit nach der Sperrstunde am Stammtisch festhalten würde, war Kronbeck aufgestanden und hatte unter dem Vorwand, aufs Pissoir zu müssen, das Lokal verlassen.
Jetzt stand er wie vom Donner gerührt in seiner Wohnungstür und starrte zu seiner Frau hin, die erschrocken aufgesprungen war. Der Kerl, der bei ihr war und seinen Trollinger trank, saß mit dem Rücken zu ihm an seinem Platz und in seinem Sessel! Jetzt drehte er sich langsam um, und Kronbeck erkannte ihn sofort. Der Kommissar! Hatte er nicht geahnt, daß der sich an seine Anne ranmachen würde? Woher wußte er, daß er heute freie Bahn hatte? Von Anne natürlich, die wohl keine Zeit verlieren wollte, einen Ersatz zu finden, nachdem er so kläglich versagt hatte!
»Guten Abend, Herr Kronbeck«, sagte Lutz arglos und
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