Blinde Zeugen: Thriller
schoss aus einer klaffenden Schnittwunde in seinem Gesicht. Der kleine Drahtige hatte ihn mit dem gezackten Ende der kaputten Wodkaflasche attackiert. Der Polizist ließ die Maschinenpistole fallen und hielt sich die Wange. Um ihn herum war schon alles voller hellroter Spritzer.
Der Kleiderschrank riss eine Tür im hinteren Teil des Ladens auf und stürmte hinaus. Sein Partner schwang sich über die Theke, rannte ihm nach und schlug die Tür hinter sich zu.
Finnie schrie auf die beiden Polizisten ein, die immer noch mit Kapuze Nummer zwei am Boden rangen. »Was zum Teufel machen Sie da? Ihnen nach, los!«
Sie ließen von ihrem Gefangenen ab.
Ein Fehler.
Kapuze Nummer eins rammte dem einen Beamten den Ellbogen ins Gesicht und dem zweiten das Knie in die Weichteile und rannte los. Er sprang durch das zerschmetterte Schaufenster, landete auf dem mit Glassplittern übersäten Gehsteig, kletterte über den Citroën mit der gellenden Alarmanlage und sprintete auf die Straße hinaus, mit fliegenden Armen und Beinen, wie ein olympischer Sprinter. Ein schwerer Lastwagen bremste im letzten Moment und kam ächzend und zischend auf dem heißen Asphalt zum Stehen. Es fehlten keine fünfzehn Zentimeter.
Logan rappelte sich auf und rannte auf die Tür hinter der Theke zu. Gerade noch rechtzeitig, um ein leises metallisches Klicken zu vernehmen. Die Klinke ließ sich keinen Zentimeter bewegen.
Finnie kam in den Laden gestürmt. »Machen Sie die verdammte Tür auf!«
»Sie ist abgeschlossen.«
»Dann treten Sie sie ein!«
RUMMS – Logan ließ seinen Fuß mit voller Wucht auf das Holz direkt unter dem Schloss krachen. Nichts. RUMMS – noch einmal. RUMMS – die ganze Tür bebte in den Angeln, weigerte sich aber, nachzugeben. »Da tut sich nichts …« Noch ein Versuch: RUMMS. Diesmal war das Ächzen und Knirschen von splitterndem Holz zu hören.
Hinter sich vernahm Logan, wie Finnie jemanden anwies, den flüchtigen Kapuzenmann zu verfolgen.
Ein letztes Mal: RUMMS. Die Tür sprang auf, und Logan torkelte in einen langen Flur, der mit Kisten und Kartons voller Gläser, Flaschen und Dosen aus Polen gesäumt war. Der Notausgang am anderen Ende stand offen.
Er machte zwei Schritte, blieb stehen und eilte zurück in den Laden.
Finnie starrte ihn an. »Was wollen Sie denn jetzt –«
»Eine Waffe.« Logan schnappte sich die Heckler-&-Koch MP5 des Polizisten mit dem zerschnittenen Gesicht und lief damit zur Tür hinaus und den Gang entlang. Draußen blieb er auf den Stufen stehen. Vor sich erblickte er einen großen Garten, umschlossen von zweieinhalb Meter hohen Mauern, zwischen denen kreuz und quer schwer behängte Wäscheleinen gespannt waren. Auf einer Seite verlief eine Reihe von Schuppen, die zu einem alten Waschhaus mit Spinnweben vor den Fenstern führte.
Von den beiden Männern keine Spur.
Logan lief die Stufen hinunter auf den Rasen und tauchte unter einer Kollektion von Damenunterwäsche hinweg. Die ganzen Kleider und Laken beschränkten seine Sichtweite auf vielleicht einen Meter. Er ging in die Hocke, ließ den Blick dicht über dem Rasen im Kreis schweifen und hielt Ausschau nach Füßen und Beinen. Immer noch nichts.
Wie sollte er da … Logan erstarrte.
Hinter sich hörte er ein Schnaufen und Stöhnen, das immer lauter wurde. Er fuhr herum und riss die MP auf Schulterhöhe hoch – gerade rechtzeitig, um einen AFO mit grimmiger Miene die Stufen herunterhumpeln zu sehen. Mit der einen Hand hielt er seine Waffe, mit der anderen seinen Schritt, während er mit zusammengebissenen Zähnen den Wäscheleinen-Hinderniskurs absolvierte.
»Alles okay?«
Der Polizist verzog das Gesicht. »Voll in die Eier, Mann …«
Plötzlich ein Scheppern und etwas, das wie ein polnischer Fluch klang – es schien vom hinteren Ende des Gartens zu kommen. Logan wühlte sich durch die Jeans und Handtücher, umwabert vom künstlichen Blumenduft des Weichspülers, doch als er an der hinteren Gartenmauer ankam, war dort niemand zu sehen.
»Verdammter Mist!«
Vielleicht hatten sie kehrtgemacht, oder sie versteckten sich in einem der Schuppen, oder –
Vom Nachbargrundstück ertönte ein Schrei.
»Wie sind die denn …« Logan hielt inne und starrte das alte Waschhaus an. Die Dachschindeln waren mit einer dünnen graugrünen Moosschicht bedeckt – durchbrochen nur von ein paar dunkelgrauen Kratzspuren, die sich im grellen Sonnenschein deutlich abhoben.
Der Kollege vom Schusswaffenteam schloss humpelnd zu ihm auf. »Was
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