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Blinder Passagier

Blinder Passagier

Titel: Blinder Passagier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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eigentlich?«
    Sie saßen in ihren grauen abgeteilten Kabinen, sortierten Autopsiefotos und gaben Daten in Computer ein, die Cursor hüpften von Feld zu Feld.
    »Sichern Sie sich lieber einen Kaffe, solange es noch welchen gibt«, begrüßte mich Cleta mit strenger Miene.
    »Da hat sie Recht.« Polly drückte auf die Enter-Taste.
    »Hab verstanden«, sagte ich.
    »Also, ich sage nichts«, sagte Polly, die es nicht schaffte, so sehr sie sich auch bemühte.
    Cleta hob den Zeigefinger an den Mund, ohne einen Anschlag auszulassen.
    »Wo sind alle anderen?«
    »Im Leichenschauhaus«, sagte Cleta. »Wir haben acht Fälle heute.«
    »Sie haben abgenommen, Cleta«, sagte ich und nahm Totenscheine aus meinem bürointernen Postfach.
    »Zwölf Pfund«, rief sie, während sie gruslige Fotos wie Spielkarten austeilte und sie nach Fallnummern sortierte. »Danke, dass Sie es bemerkt haben. Freut mich, dass es hier überhaupt jemandem auffällt.«
    »Verdammt«, sagte ich mit Blick auf den obersten Totenschein.
    »Glaubt ihr, dass wir Dr. Carmichael jemals davon überzeugen werden, dass >Herzstillstand< keine Todesursache ist? Das Herz hört immer auf zu schlagen, wenn jemand stirbt. Die Frage ist warum. Der muss berichtigt werden.«
    Ich überflog weitere Totenscheine, während ich über den langen grünblau und pflaumenfarben gemusterten Teppich im Flur zu meinem Büro ging. Rose arbeitete in einem hellen Raum mit vielen Fenstern, und niemand schaffte es zu meiner Tür, ohne in ihren Luftraum einzudringen. Sie stand vor einem offenen Aktenschrank, ihre Finger flatterten ungeduldig über beschrifteten Karteireitern.
    »Wie geht es Ihnen?«, fragte sie mit einem Kugelschreiber im Mund. »Marino sucht Sie.«
    »Rose, holen Sie Dr. Carmichael ans Telefon.«
    »Schon wieder?«
    »Leider.«
    »Er sollte sich pensionieren lassen.«
    Das sagte meine Sekretärin seit Jahren. Sie stieß die Schublade zu und zog eine andere auf.
    »Warum sucht mich Marino? Hat er von zu Hause angerufen?«
    Sie nahm den Kugelschreiber aus dem Mund.
    »Er ist hier. Oder war hier. Dr. Scarpetta, erinnern Sie sich an den Brief, den Sie letzten Monat von dieser entsetzlichen Frau gekriegt haben?«
    »Von welcher entsetzlichen Frau?«, fragte ich und blickte mich im Flur vergeblich nach Marino um.
    »Die im Gefängnis sitzt, weil sie ihren Mann umgebracht hat, kaum hatte sie eine Lebensversicherung über eine Million für ihn abgeschlossen.«
    »Ach, die«, sagte ich.
    Ich zog meine Jacke aus, während ich in mein Büro ging und meine Aktentasche auf den Boden stellte. »Warum sucht mich Marino?«, fragte ich noch einmal.
    Rose antwortete nicht. Mir war aufgefallen, dass sie schlechter hörte als früher, und jedes Anzeichen ihrer zunehmenden Zerbrechlichkeit jagte mir Angst und Schrecken ein. Ich legte die Totenscheine auf ungefähr hundert andere, die ich noch nicht überprüft hatte und hängte meine Jacke über die Stuhllehne.
    »Sache ist«, sagte Rose, »dass sie Ihnen wieder einen Brief geschrieben hat. Diesmal wirft sie Ihnen Bestechlichkeit vor.«
    Ich nahm meinen Laborkittel vom Haken an der Tür.
    »Sie behauptet, Sie hätten sich mit der Versicherungsgesellschaft verschworen und die Todesursache ihres Manns von Unfall in Mord abgeändert, damit sie das Geld nicht auszahlen müssen. Und dafür haben Sie ganz schön abgesahnt, weswegen Sie sich - ihrer Meinung nach - Ihren Mercedes und Ihre teuren Hosenanzüge leisten können.«
    Ich schlüpfte in den Kittel.
    »Wissen Sie, ich komm einfach nicht mehr mit, Dr. Scarpet-ta.
    Ein paar von diesen Verrückten jagen mir wirklich Angst ein, und ich glaube, das Internet macht alles noch viel schlimmer.«
    Rose spähte in mein Zimmer.
    »Sie hören überhaupt nicht zu«, sagte sie.
    »Ich kaufe meine Hosenanzüge im Ausverkauf«, sagte ich.
    »Und Sie schieben alles auf das Internet.«
    Ich würde mir wahrscheinlich überhaupt nie etwas Neues zum Anziehen kaufen, wenn Rose mich nicht hin und wieder dazu zwingen würde, sobald die Geschäfte die Lager räumten. Ich hasste es, einzukaufen, außer wenn es sich um guten Wein oder Lebensmittel handelte. Ich hasste Menschenmengen. Ich hasste Einkaufszentren. Rose hasste das Internet und glaubte, dass deswegen eines Tages die Welt zugrunde gehen würde. Ich hatte sie dazu zwingen müssen, E-Mail zu benutzen.
    »Wenn Lucy anruft, stellen Sie sie durch, egal, wo ich bin«, sagte ich, als Marino hereinmarschierte. »Und versuchen Sie es in dem Büro, das für sie

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