Blinder Stolz: Thriller (German Edition)
diesem kleinen Coldare festgenommen werden, während Berry unbesorgt ihr Leben weiterlebte. Das war inakzeptabel. Völlig ausgeschlossen.
Einen Pluspunkt hatte diese ganze Katastrophe allerdings: Oren Starks war daran gewöhnt, Pech im Leben zu haben, weil es ihn so oft schon ereilt hatte. So wusste er zum Beispiel, dass er nicht in Panik geraten durfte. Sich verrückt zu machen, nur weil etwas schiefgelaufen war, führte lediglich dazu, dass man den Verdacht auf sich zog.
An dem Tag, als Mike Reader gestorben war, hatte Oren sich zu Hause vor den Fernseher gesetzt, seine Fischstäbchen und eine Portion Makkaroni mit Käse gegessen, sich anschließend in die Badewanne gelegt und sich ansonsten genauso benommen wie sonst auch. Niemand, nicht einmal seine Mutter, wäre im Traum darauf gekommen, dass er die Schuld an der Tragödie auf dem Spielplatz zwei Blocks von seinem Haus entfernt trug. Als wenig später Polizei und Krankenwagen mit Sirenengeheul durch das Viertel gefahren waren, hatte er lediglich nach der Fernbedienung gegriffen und den Fernseher lauter gedreht.
Der Coldare-Junge war tot, und Oren blieb nichts anderes übrig, als es zu akzeptieren. Er musste Ruhe bewahren, durfte jetzt nicht den Kopf verlieren. Probleme zu lösen war seine große Stärke. Je komplizierter das Rätsel war, umso besser. Man brauchte Geduld und Scharfsinn, um sich seinen Weg aus einem komplizierten Labyrinth zu bahnen.
Und auch aus diesem Labyrinth gab es einen Ausweg. Er musste ihn nur finden.
Natürlich hatte er für den schlimmsten aller Fälle einen perfekten Fluchtplan in der Hinterhand. Doch im Augenblick stand er vor einem Hindernis, mit dem er nicht gerechnet hatte. Als einzige Möglichkeit blieb ihm der Rückzug. Es war eine bittere Entscheidung, doch um am Ende erfolgreich zu sein, mussten manchmal auch Opfer gebracht werden.
Aus diesem Grund war es nicht unbedingt nötig, dass Ben Lofland starb.
Der Mann war Zeuge von etwas geworden, das ihm Todesangst eingejagt hatte, außerdem war er – im wahrsten Sinne des Wortes – mit heruntergelassenen Hosen erwischt worden. Das mochte vielleicht nicht die Strafe sein, die er verdiente, doch Oren gelangte zu dem Entschluss, dass Lofland sich damit schon genug zum Narren gemacht hatte.
Berry hingegen musste sterben. Es gab keine andere Möglichkeit. Mit weniger würde er sich nicht zufriedengeben.
Aber wie sollte er das bewerkstelligen? Alle um sie herum waren in höchster Alarmbereitschaft. Orens Name und Gesicht waren in sämtlichen Medien verbreitet worden. Jeder, der auch nur ansatzweise Ähnlichkeit mit ihm besaß, würde sofort verhaftet, wenn nicht sogar von einem schießfreudigen Gesetzeshüter abgeknallt werden. Deshalb blieb ihm vorläufig nichts anderes übrig, als abzutauchen.
Doch sich zu verstecken war unproduktiv und langweilig noch dazu. Und das Schlimmste war: Auf diese Weise blieb Berry auch weiterhin am Leben. Aber wenn ihn jemand sah …
In diesem Augenblick fiel der Groschen.
Verwirrung stiften! Ja! Genau! Er würde für Verwirrung sorgen. Mit etwas Geschick, gutem Timing und einer Portion Glück – und hatte er nicht endlich auch mal ein bisschen Glück verdient? – würden Berry und all jene, die sie beschützten, sich ratlos am Kopf kratzen und sich einen Reim auf das scheinbar Unmögliche zu machen versuchen.
Allein die Vorstellung ließ Oren frohlocken.
16
D er Kuss.
Die Welt rings um ihn herum ging den Bach runter – und Ski Nylands Ecke der Welt war eindeutig die Überholspur auf diesem Weg. Allerdings konnte er sich nicht darauf konzentrieren, wie er es verhindern sollte, weil seine Gedanken unaufhörlich um Berry und diesen Kuss kreisten. Es schien, als wäre in seinem Kopf nur für eines Platz: die Erinnerung an ihren schlanken, geschmeidigen Körper, an ihren köstlichen Mund und an andere, noch viel erregendere Details.
Doch für seine Fantasien war ebenso wenig der richtige Zeitpunkt wie für einen Angelausflug oder eine Mütze voll Schlaf als Entschädigung für die vergangenen beiden Nächte, die er auf den Beinen gewesen war.
Er fuhr nach Hause, um sich zu rasieren, kalt zu duschen und sich ein frisches Hemd anzuziehen, während in der Küche die Kaffeemaschine durchlief. Er goss den Kaffee in einen Thermosbecher, bestrich eine Scheibe Toast dick mit Erdnussbutter, die er zusammenklappte und auf dem Weg zum Wagen verschlang. Der Kaffee war köstlich, bitter und so brüllend heiß, dass er sich die Zunge daran
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