Blitz sucht seinen Vater
Henry nicht mitkommen lassen.
»Der Weg ist gefährlich«, sagte er, »es genügt, wenn wir die Beine zweier guter Pferde aufs Spiel setzen.«
»Ganz zu schweigen davon, daß sich auch Alec und Sie selbst das Genick brechen können«, knurrte Henry. Doch er machte keinen Versuch, Alec von dem Wagnis abzuhalten, denn er wußte, wie sehr auch Alec darauf brannte, den verschwundenen Hengst zu finden.
So folgte ein Tag dem anderen, während Alec mit Blitz und dem Scheich durch die wildeste Gegend ritt, die er je gesehen hatte. Sie kamen durch tiefe Schluchten und klommen zu steilen Bergflanken empor. Nichts bewegte sich außer dem Wind, nichts anderes war zu hören. Und nirgends fanden sie ein Zeichen von Ziyadah.
Schließlich wurde Alec ungeduldig. Um die Mittagsstunde des vierten Tages sagte er zu Abd al Rahman: »Ich habe es satt, nach einem Pferd zu suchen, das keinerlei Spuren hinterläßt. Blitz wird steif und lahm, wenn er unaufhörlich über Geröll und Gestein laufen muß.«
Der Scheich ritt gerade eine rauhe Steilwand hinunter; seine Stute rutschte beinah auf den Hinterschenkeln, um ihr Gleichgewicht zu bewahren. Alec blieb keine Wahl, er mußte folgen. »Geh vorsichtig«, sagte er zu seinem Pferd. Blitz machte es der Stute nach und kam auf die gleiche Weise heil hinunter.
Am Fuß des Hanges sagte Abd al Rahman: »Obwohl wir keine Spuren finden — er ist hier irgendwo und wartet auf uns. Ich gebe die Suche nicht auf, bis wir ihn haben. Kommen Sie! Ein halber Tag liegt noch vor uns.«
In den nächsten Stunden suchten sie nach Möglichkeiten höherzukommen und auf die Gipfel der Gebirgskette zu gelangen. Sie stiegen in ein dunkles Tal hinab, das tief im Schatten lag. Dort fanden sie im Bett eines ausgetrockneten Flusses einen nach oben führenden Pfad. Doch dann ging es ihnen wie an den vorangegangenen drei Tagen; das Flußbett endete vor einer steilen Felswand. Schließlich wendeten sie ihre Pferde heimwärts, ohne zu ahnen, daß ihr langes Suchen nach Ziyadah zunächst zu einem Ende gekommen war.
Als sie sich den Ställen näherten, gab der Scheich seiner Stute plötzlich die Sporen.
»Was ist los?« fragte Alec, Blitz mit Leichtigkeit an ihrer Seite haltend.
»Tabari ist zurückgekehrt!«
»Woher wissen Sie das?«
»Ich seh’s an den Stuten! Sie haben sich in der Nähe des Hauses versammelt, und das tun sie nur, wenn Tabari daheim ist.«
»Füttert Tabari die Stuten?«
»Gelegentlich, aber das ist es nicht. Oft verbringen die Stuten viele Stunden dort, als wäre es ihr einziger Wunsch, Tabari möchte sie ansehen. Sie wissen immer, wenn sie daheim ist, selbst wenn sie sie nicht sehen können.«
Abd al Rahman sprach hastig, und seine Augen verrieten seine Ungeduld, zu seiner Frau zu kommen. Er feuerte seine Stute zu höchster Schnelligkeit an. Alec hatte keine Lust, Blitz den ganzen Weg bis zu den Ställen galoppieren zu lassen; er hielt ihn zurück.
So verging eine weitere Stunde, bis Alec das Haus betrat. Er hatte zuvor Blitz geputzt, getränkt und gefüttert und für die Nacht versorgt. Die Stuten hatten sich auf der gleich hinter dem Garten liegenden Koppel versammelt. Sie standen still, die schmalen Köpfe auf das Haus gerichtet, ab und zu leise wiehernd. Alec fand es keineswegs sonderbar, daß sie wußten, wenn Tabari im Hause war, selbst wenn sie sie nicht sehen konnten. Der Geruch ist der ausgeprägteste Sinn des Pferdes, und wenn Tabari ihnen gelegentlich ein paar gute Happen gab, war es nicht erstaunlich, daß sie ihre Witterung kannten. Viel sonderbarer war, daß auch Blitz seinen Kopf witternd in Richtung des Hauses gedreht hatte, als sie daran vorübergekommen waren. Die Eingangstür öffnete sich vor Alec, ehe er den Messinggriff angerührt hatte. Der livrierte Diener sagte: »Wenn es Ihnen recht ist, möchte die gnädige Frau Sie gern sogleich sehen.« Tabari war allein. Sie saß in einem hochlehnigen Stuhl am Fenster und betrachtete die Stuten. Auf einem kleinen Tisch neben ihr standen Gebäck und eine Kanne mit Tee.
Sie sprach, ohne den Kopf nach ihm umzuwenden: »Manchmal sitze ich hier stundenlang, um sie zu betrachten.«
»Reiten Sie denn nicht mehr?« wollte Alec wissen.
»Nein, mir macht es mehr Freude, zuzusehen, wenn die Pferde sich auf den Koppeln tummeln. Seit mein Vater zu Tode stürzte, habe ich kein Pferd mehr bestiegen.«
»Sein Tod war ein Unfall, der jedem Reiter begegnen kann.«
Sie ging nicht weiter auf das verfängliche Thema ein. »Würden Sie gern eine
Weitere Kostenlose Bücher