Blood - Ein Alex-Cross-Roman
Fegefeuer und weiß nicht, was ich damit anfangen soll.«
Sampson wartete, bis ich fertig war. Normalerweise spürt er genau, wann er den Mund halten muss. Im Augenblick hatte er nichts weiter zu sagen. Schließlich holte ich tief Luft, und wir standen auf und gingen den Bürgersteig entlang.
»Was hast du über Marias Mörder herausgefunden? Irgendetwas Neues?«, fragte ich ihn. »Oder hat Giametti uns bloß an der Nase herumgeführt?«
»Alex, warum lässt du die alten Geschichten nicht einfach ruhen?«
»Das würde ich ja, wenn ich könnte! Okay? Aber vielleicht ist das eben meine Methode.«
Er starrte einen halben Straßenzug lang auf seine Schuhspitzen. Schließlich reagierte er auf meine Worte, wenn auch nur widerwillig: »Wenn ich etwas über ihren Mörder höre, dann bist du der Erste, der’s erfährt.«
57
Seit seinem vierzehnten oder fünfzehnten Lebensjahr hatte Michael Sullivan sich nicht mehr verarschen lassen. Von niemandem. Jeder in seiner Familie hatte gewusst, dass sein Opa James eine Waffe hatte und dass er sie in der untersten Schublade der Kommode im Schlafzimmer aufbewahrte. Eines Nachmittags im Juni, in der Woche, als er die Schule für immer beendet hatte, war Sullivan in die Wohnung seines Großvaters eingebrochen und hatte die Pistole gestohlen.
Den restlichen Tag über war er durch das Viertel geschlendert, die Pistole im Hosenbund unter einem weiten Hemd verborgen. Er hatte nicht das Bedürfnis, die Waffe irgendjemandem zu zeigen, aber er stellte fest, dass er sich mit ihr wohl fühlte, sehr wohl. Diese Handfeuerwaffe änderte sein gesamtes Leben. Aus einem knallharten Burschen war ein unbesiegbarer geworden.
Sullivan trieb sich bis gegen acht Uhr abends draußen herum, dann ging er die Quentin Road entlang bis zum Geschäft seines Vaters. Er wusste, dass der Alte um diese Zeit den Laden schließen würde.
Ein Stück weit entfernt spielte ein Autoradio gerade den »Crocodile Rock« von Elton John. Er hasste dieses Stück und hätte denjenigen, der es eingeschaltet hatte, am liebsten erschossen.
Die Eingangstür zum Schlachterladen stand offen. Sein Vater hob nicht einmal den Blick, als er eintrat, obwohl er seinen Sohn durch das Schaufenster hindurch bemerkt haben musste.
Neben der Tür lag, wie üblich, ein Stapel mit dem Irish
Echo . Immer war alles verdammt noch mal genau da, wo es hingehörte. Fein säuberlich geordnet und total verkorkst.
»Was willst du?«, raunzte sein Vater. Der Besen in seiner Hand besaß einen scharfkantigen Schaber, mit dem sich das Fett vom Mörtelboden lösen ließ. Das war einer dieser miesen Drecksjobs, die Sullivan hasste.
»Mit dir reden«, sagte er zu seinem Vater.
»Verpiss dich. Ich hab zu tun.«
»Ach, tatsächlich? Du hast zu tun? Böden putzen?« Dann schoss sein Arm nach vorne.
Das war das erste Mal, dass Sullivan seinen Vater schlug. Er traf ihn mit der Pistole an der Schläfe, oberhalb des rechten Auges. Dann schlug er ihn noch einmal auf die Nase, und der kräftig gebaute Mann sackte zu Boden, zwischen die Sägespäne und die Fleischreste. Er fing an zu stöhnen und spuckte Sägemehl und Knorpelstückchen aus.
»Du weißt, wie schlimm ich dir wehtun kann?« Michael Sullivan beugte sich etwas tiefer hinab und sagte zu seinem Vater: »Kannst du dich noch an diesen Satz erinnern, Kevin? Ich schon. Werd ich mein Leben lang nicht vergessen.«
»Sag nicht Kevin zu mir, du Irrer.«
Erneut verpasste er seinem Vater einen Schlag mit dem Pistolengriff. Dann folgte ein Tritt in die Hoden, und sein Vater stöhnte vor Schmerz auf.
Sullivan blickte sich voller Verachtung in dem Laden um. Trat einen Ständer mit McNamaras Soda Bread um, einfach, weil er gegen irgendetwas treten wollte. Dann hielt er seinem Alten die Waffe an die Schläfe und spannte den Hahn.
»Bitte«, keuchte sein Vater, seine Augen wurden groß vor Entsetzen und Angst und einer irgendwie unwirklichen Erkenntnis darüber, was sein Sohn wirklich war. »Nein. Tu das nicht. Nicht, Michael.«
Sullivan drückte ab, und es ertönte ein lautes, metallisches Klicken.
Aber keine ohrenbetäubende Detonation. Kein gehirnzerfetzender Schuss. Dann entstand eine ehrfürchtige Stille, wie in einer Kirche.
»Eines Tages«, sagte er zu seinem Vater. »Nicht heute, aber irgendwann, wenn du überhaupt nicht damit rechnest. Eines Tages, wenn du auf gar keinen Fall sterben willst, dann werde ich dich töten. Du wirst qualvoll sterben, Kevin. Nicht einfach mit einem Plopp aus so einer
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