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Bloody Mary.

Bloody Mary.

Titel: Bloody Mary. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Sharpe
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gewesen war. »Nur so haben sie mich ins Land gelassen«, hatte sie erklärt. Purefoy hatte erwidert, das müsse sie ihm erklären. »Wie sollte denn deiner Meinung nach ein Mensch, der weder Geburtsurkunde noch Reisepaß hat, ohne Papiere durch die Paßkontrolle kommen? Das ist unmöglich.«
    »Aber irgendeinen Ausweis mußt du doch haben. Du wirst doch wohl wissen, wer du bist.«
    »Inzwischen weiß ich, wer ich bin, aber damals wußte ich es nicht. Niemand wußte es. Du hast nie in einem Land wie Argentinien unter der Militärdiktatur gelebt, wo die Leute buchstäblich einfach verschwanden. So erging es meiner Mutter und meinem Vater. Brigitte und ich wurden eines Morgens in einer Stadt namens Fray Bentos am Ufer des Rio Plata auf einem Picknicktisch gefunden. Jemand hatte uns ein Schildchen umgebunden, auf dem in Englisch das Wort ›Unbekannt‹ stand. Wir wurden in ein katholisches Waisenhaus gebracht, wo uns die Nonnen Incognito nannten. Anfangs war das ein Scherz, doch der Name blieb haften, und so wurde aus mir Ingrid Natasha Cognito. Wir haßten das Waisenhaus und die Nonnen, und wir liefen weg und gingen nach Paraguay. Das war alles andere als angenehm, wir lebten bei ganz armen Deutschen in einem sehr merkwürdigen Ort. Wir waren blauäugig und blondhaarig und sprachen Englisch.«
    Purefoy hörte zu, schläfrig aber fasziniert. Der Rio de la Plata, Fray Bentos und die stillgelegte Fleischwarenfabrik, der Golf- Club, wo an der Wand eine Krönungsplakette für George VI. hing und die Entfernungsangaben zu den Löchern immer noch in Yards angegeben waren, Paraguay und Stroessners im Stechschritt über einen staubigen Platz paradierende Soldaten mit ihren deutschen Helmen, die heruntergekommenen Bauernhäuser der Nachkommen deutscher Auswanderer aus dem neunzehnten Jahrhundert, bizarre südafrikanische Sekten in modernen Gebäudekomplexen, Hitze und Insekten, und dann durch Uruguay zurück nach Montevideo, eine Stadt, die in den fünfziger Jahren stehengeblieben zu sein schien, und wo sich Briten und Amerikaner nach wie vor im Englischen Club mit seiner zersprungenen und geklebten Wohnzimmerfensterscheibe trafen, dem Club, in dessen Bar die Gipsdecke teilweise heruntergebrochen war und wo sich gebundene Jahrgänge der
    Montevideo Times in der Bibliothek neben dem uralten und unbenutzten Fechtboden stapelten. Von hier ging es weiter nach Afrika, diesmal mit Hilfe der südafrikanischen Sektenmitglieder.
    Die weißen Pferde grasten auf der Weide vor ihnen, und Purefoys Phantasie folgte der Geschichte von Miss I. N. Cognitos Irrfahrten mit der wachsenden Überzeugung, daß sie die Wahrheit sagte. Dennoch blieb er mißtrauisch. Heutzutage mußte sich in einer auch nur ansatzweise zivilisierten Gesellschaft jeder legitimieren können, und sei es auch nur mittels einiger Nonnen in einem Waisenhaus oder irgendeines anderen Menschen, der ihn schon eine Zeitlang kannte. »So kommt man aber nicht nach Großbritannien rein«, sagte Ingrid. »Versuch doch mal, die Kontrollen in Heathrow zu passieren ohne Paß oder Geburtsurkunde. Die Beamten von der Einwanderungsbehörde machen nicht mal den Versuch, einem zu glauben. Wir haben es einmal mit einem Frachtflugzeug aus Lusaka probiert. Das war ein Fehler. Die Besatzung hat große Schwierigkeiten bekommen, und wir wurden einer Leibesvisitation unterzogen. Und mußten Abführmittel nehmen, wir hätten ja mit Drogen oder Diamanten gefüllte Präservative geschluckt haben können.«
    »Was habt ihr denn bloß in Lusaka gemacht?« »Ich hab dir doch erzählt, daß wir wiedergeborene Mitglieder der Benonisekte wurden. Wegen irgendwelcher Visionen, die irgendeine Frau anno 1927 hatte, hielten es die Leute für eine gute Idee, Südafrika mit ein wenig Geld zu verlassen und in Südamerika Missionen zu bauen.«
    »Die hätten euch doch Ausweise geben können ...« »Hätten können. Haben aber nicht, weil wir ihnen erzählten, Religion sei Opium fürs Volk, und wenn man ihnen nicht glaubt, können religiöse Menschen erstaunlich intolerant werden. Sie verstießen uns in die dunkelste Finsternis, in diesem Fall nach Brakpan, und wir mußten uns allein durchschlagen.« »Wie seid ihr dann in dieses Land hier gekommen?« »Indem wir uns mit einem netten Griechen anfreundeten, der einen Tante-Emma-Laden und zwei Schwestern hatte, die einverstanden waren, ihre Reisepässe zu verlieren. In Athen mußten wir ihm die dann zurückgeben. Danach war es relativ leicht. Wir haben uns entlang der

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