Blüte der Tage: Roman (German Edition)
normalem Plauderton. »Wir könnten Mrs. Harper einen Streich spielen.«
Gavin beugte sich in seinem Sicherheitsgurt nach vorne. »Was für einen Streich?«
»Eine Art Theaterstück. Ich weiß nur nicht, ob wir damit durchkommen. Sie ist nämlich ziemlich schlau. Wir müssen das ganz geschickt anstellen.«
»Ich bin geschickt«, versicherte ihr Luke. Und ein Blick in den Rückspiegel verriet ihr, dass die hitzige Röte auf seinen Wangen bereits verblasste.
»Okay, der Plan sieht folgendermaßen aus.« Sie drehte sich um, damit sie beide Jungen im Blick hatte. Wie so oft verblüffte es sie, was für eine interessante Mischung die beiden aus Kevin und ihr waren. Luke hatte ihre blauen Augen und Kevins Mund, Gavin hatte Kevins graugrüne Augen und ihren Mund. Luke hatte ihr rotes Haar, Gavin das sonnengebleichte Blond seines Vaters.
Bewusst dehnte sie die Pause noch einige Sekunden aus, bis sie sich der Aufmerksamkeit beider Jungen sicher war.
»Ach, nein, ich weiß nicht«, seufzte sie dann und schüttelte den Kopf. »Es ist vielleicht doch keine so gute Idee.«
Lautstarker Protest ertönte, begleitet von wildem Gezappel, was Parker ein aufgeregtes Bellen entlockte.
»Okay, okay.« Ergeben hob sie die Hände. »Also, wir machen jetzt Folgendes: Wir fahren zum Haus, und wenn man uns eingelassen hat und ihr Mrs. Harper begegnet, dann ... Nein, das ist zu schwierig.«
»Das können wir!«, krähte Gavin.
»Nun, wenn ihr also Mrs. Harper begegnet, müsst ihr so tun, als ob ... puh, das ist wirklich nicht leicht, aber ich glaube, ihr schafft das. Ihr müsst so tun, als wärt ihr höfliche, manierliche, wohl erzogene Jungen.«
»Das können wir! Wir ...« In Lukes Gesicht begann es zu arbeiten. »Hey! Mama!«
»Und ich muss so tun, als würde ich mich über meine zwei artigen, höflichen Jungen kein bisschen wundern. Meint ihr, das kriegen wir hin?«
»Vielleicht gefällt es uns dort gar nicht«, maulte Gavin.
Energisch unterdrückte sie ihren Anflug von schlechtem Gewissen. »Mal sehen. Warten wir es doch einfach ab.«
»Ich würde lieber bei Granddad und Nana Jo wohnen«, wisperte Luke, und beim Anblick seines kleinen zitternden Mundes verkrampfte sich Stellas Herz.
»Das geht leider nicht. Aber wir können die beiden oft besuchen, ganz oft. Und sie können uns besuchen. Unser
neues Leben soll doch ein Abenteuer werden, erinnert ihr euch? Und wenn wir hier trotz aller Bemühungen nicht glücklich sind, dann werden wir eben etwas anderes ausprobieren.«
»Die Leute reden hier so komisch«, beklagte sich Gavin.
»Nein, nur anders.«
»Und es gibt keinen Schnee. Wie sollen wir da Schneemänner bauen oder Schlitten fahren gehen?«
»Nun ja, das ist richtig, aber dafür kann man hier andere Dinge unternehmen.«
Trotzig schob Gavin das Kinn nach vorn. »Wenn sie blöd ist, werde ich nicht bleiben.«
»Abgemacht.« Stella ließ den Wagen wieder an, holte tief Luft und fuhr weiter.
Sekunden später rief Luke: »Oh, ist das groß!«
Stella fragte sich, ob die Kinder wohl nur den imposanten, dreistöckigen Bau, der durch seine bloße Masse beeindruckte, sahen? Oder nahmen sie auch Details wahr? Den ausgebleichten gelben Stein, die majestätischen Säulen, den bezaubernden Eingang und die hübsche Terrasse, die um das ganze Haus ging?
»Es ist sehr alt«, erklärte sie ihren Kindern. »Über hundertfünfzig Jahre. Mrs. Harpers Familie hat immer hier gewohnt.«
»Ist sie hundertfünfzig Jahre alt?«, fragte Luke, was ihm von seinem Bruder ein verächtliches Schnauben und einen Knuff einbrachte.
»Dummkopf. Dann wäre sie ja schon tot. Und die Würmer würden über sie krabbeln ...«
»Ich möchte daran erinnern, dass höfliche, manierliche und wohl erzogene Jungen ihre Brüder nicht Dummkopf
nennen. Seht ihr die wunderbaren Wiesen? Da könnt ihr mit Parker nach Herzenslust herumtoben und spielen. Aber ihr müsst euch vom Garten und den Blumenbeeten fernhalten – genauso wie zu Hause, ich meine in Michigan«, verbesserte sie sich. »Das Beste wird sein, wir fragen Mrs. Harper, wo ihr spielen dürft.«
»Das sind aber große Bäume«, murmelte Luke. »Sehr große.«
»Seht ihr den da vorne? Das ist eine Platane. Ich wette, sie ist sogar noch älter als das Haus.«
Sie fuhr um die Parkinsel, die neben Azaleen sehr eigenwillig mit japanischem Fächerahorn und Virginischem Wacholder bepflanzt war.
Als sie Parkers Leine am Halsband befestigte, waren ihre Hände weit ruhiger als ihr Herzschlag. »Gavin,
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