Blüte der Tage: Roman (German Edition)
lassen, wären Sie schon längst zu meinen Füßen zerschmolzen. Er verleiht mir nämlich eine ungeheure Macht über Frauen, und deshalb setze ich ihn nur selten ein.«
»Das glaube ich Ihnen gern.«
Doch als sie nun zu ihrem Wagen zurückging, lächelte sie.
SECHSTES KAPITEL
Hayley Phillips Wagen fuhr mit qualmendem Auspuff und einem altersschwachen Getriebe. Das Radio funktionierte zum Glück noch, und als die Dixie Chicks kamen, drehte sie es auf volle Lautstärke auf.
Alles, was sie besaß, befand sich in dem Pontiac Grandville, der älter war als sie und um einiges launischer. Ihre Habseligkeiten waren allerdings kaum der Rede wert. Sie hatte alles verkauft, was sich zu Geld machen ließ. Warum sentimental sein? Mit Gefühlsduselei ließ sich kein Sprit kaufen.
Sie war nicht völlig pleite. Ihre Ersparnisse würden sie durch die erste kritische Zeit bringen, und wenn sie länger andauern würde als erwartet, würde sie eben Geld verdienen. Sie fuhr nicht einfach ins Blaue. Gleichwohl wusste sie nicht, was sie bei ihrer Ankunft erwartete.
Aber das war gut so, denn wenn man das schon vorher wüsste, wäre das Leben schrecklich öde.
Eigentlich war sie müde und hatte aus der alten Klapperkiste bereits alles herausgeholt. Aber wenn sie – und der Wagen – noch ein paar Meilen durchhielten, würden sie eine Atempause erhalten.
Sie rechnete nicht damit, hinausgeworfen zu werden
und auf der Straße zu landen. Aber wenn doch, dann würde sie eben tun, was nötig war.
Die Gegend gefiel ihr, vor allem seit sie das Gewirr der Schnellstraßen vermied, die Memphis umgaben. Hier, nördlich der Stadt, war das Land ein wenig hügelig und gelegentlich blitzte der Fluss mit seinem steil abfallendem Ufer auf. Neben den typischen Vorstadthäusern, die allesamt hübsch und gepflegt waren, gab es auch neu erbaute, protzige Villen, die vom Reichtum ihrer Besitzer kündeten. Überall ragten alte Bäume empor, und trotz einiger Stein- oder Ziegelmauern machte das Viertel einen freundlichen Eindruck.
Und Freundlichkeit konnte sie, weiß Gott, brauchen.
Als sie das Schild des Gartencenters sah, ging sie vom Gas. Sie hatte Angst anzuhalten – fürchtete, der alte Pontiac würde dann seinen Geist aufgeben und nicht mehr anspringen. Doch sie fuhr langsam genug, um einen Blick auf das Hauptgebäude und den von Laternen erleuchteten Parkplatz zu erhaschen.
Tief durchatmend fuhr sie weiter. Sie war fast am Ziel. Sie hatte sich während der Fahrt immer wieder überlegt, was sie sagen wollte, war aber zu keinem Schluss gekommen.
Als sie sich der Einfahrt näherte, begann der Motor zu stottern und zu spucken.
»Los, komm schon. Nur noch ein kleines Stück. Ach, hätte ich doch vorhin noch einmal getankt!«
Mitten in der von zwei Säulen flankierten Toreinfahrt starb der Motor ab.
Sie schlug auf das Lenkrad ein, wenn auch nur halbherzig. Schließlich war es einzig und allein ihre Schuld. Und vielleicht war es ja gut so. Es würde schwieriger sein, sie
hinauszuwerfen, wenn ihr Auto kein Benzin mehr hatte und die Einfahrt blockierte.
Sie holte eine Bürste aus ihrer Handtasche und kämmte sich das Haar. Nach etlichen Farbexperimenten war sie wieder zu ihrem eigenen Eichenrindenbraun zurückgekehrt. Zum Glück war sie vor der Abreise noch einmal beim Friseur gewesen. Der unkomplizierte Bob mit den längeren Seitensträhnen war für sie genau richtig.
Sie wirkte damit sorglos, heiter. Selbstsicher.
Sorgfältig trug sie Lippenstift auf und überpuderte die glänzenden Stellen im Gesicht.
»Okay. Packen wir es an.«
Sie stieg aus, schulterte ihre große Handtasche und ging die lange Einfahrt hinauf. Nur wohlhabende Leute – ob alter Geldadel oder Neureiche – konnten es sich leisten, ein Haus fernab der Straße zu erbauen. Das Haus, in dem sie aufgewachsen war, war so nah an der Straße gelegen, dass die vorbeifahrenden Leute ihr mehr oder weniger die Hand geben konnten.
Doch das machte ihr nichts aus. Es war ein hübsches Haus gewesen. Ein gutes Haus. Und ein Teil von ihr hatte es bedauert, es zu verkaufen. Aber dieses kleine Haus außerhalb von Little Rock verkörperte die Vergangenheit. Und sie steuerte auf die Zukunft zu.
Auf halbem Weg blieb sie stehen. Blinzelte. Das war nicht nur ein Haus, dachte sie ehrfürchtig, das war ein herrschaftliches Anwesen. Das Besondere daran war nicht nur die Größe – große Angeberhäuser gab es genügend –, sondern die Ausstrahlung. Es war Tara und Manderley in einem.
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