Blüte der Tage: Roman (German Edition)
wenig durchhalten, nahm ihm Stella die Leine ab und ging mit Roz nach unten.
Als sie den Salon betraten, drehte sich Hayley zu ihnen
um. »Was für ein Ehrfurcht gebietender Raum. Man fühlt sich darin geborgen und gleichzeitig irgendwie erhaben. Ich bin Hayley, Wayne Phillips’ Tochter. Mein Daddy war ein Verwandter mütterlicherseits Ihres ersten Gatten. Als er letztes Jahr starb, haben Sie mir ein sehr freundliches Kondolenzschreiben geschickt.«
»Ja, ich erinnere mich. Ich habe Ihren Vater nur einmal getroffen. Ich mochte ihn.«
»Ich auch. Entschuldigen Sie, dass ich hier ohne Anmeldung hereinplatze, noch dazu um diese Uhrzeit. Aber ich hatte Probleme mit meinem Wagen.«
»Das ist schon in Ordnung. Setzen Sie sich, Hayley. Wie weit sind Sie denn?«
»Bald im sechsten Monat. Der errechnete Geburtstermin ist Ende Mai. Ich muss nochmal um Verzeihung bitten, mir ist nämlich direkt in ihrer Einfahrt das Benzin ausgegangen.«
»Kein Problem. Wir werden uns darum kümmern. Haben Sie Hunger, Hayley? Darf ich Ihnen eine Kleinigkeit zu essen bringen?«
»Nein, danke, Ma’am. Ich habe vorhin zum Essen angehalten. Leider habe ich vergessen, auch den Tank zu füttern. Ich habe Geld. Ich möchte nicht, dass Sie denken, ich sei gekommen, weil ich pleite bin und mir eine milde Gabe erhoffe.«
»Gut zu wissen. Aber wir sollten einen Tee trinken. Es ist eine kalte Nacht. Ein heißer Tee wird uns allen gut tun.«
»Wenn es nicht zu viele Umstände bereitet. Aber ich darf keinen schwarzen Tee trinken.« Sie strich über ihren Bauch. »Als Schwangere muss man ja leider auf solche Sachen verzichten.«
»Um den Tee kann ich mich kümmern«, bot Stella an und ging zur Tür. »Ich bin gleich wieder da.«
»Danke, Stella.« Roz wandte sich wieder ihrem Gast zu. »Sie sind also die ganze Strecke von Little Rock hierher gefahren?«
»Ja, aber ich fahre gern Auto. Vor allem, wenn der Wagen nicht aufmuckt, aber man muss die Dinge nehmen, wie sie kommen.« Sie räusperte sich. »Ich hoffe, es geht Ihnen gut, Ma’am.«
»Roz. Ja, es geht mir sehr gut. Und wie geht es Ihnen und dem Baby?«
»Wir fühlen uns großartig. Gesund und kräftig wie die Rösser, meinte der Arzt. Ich komme mir zwar langsam vor wie eine Tonne, aber das ist mir egal, zumindest weitgehend. Ich finde es eher interessant. Und, ähm, Ihre Kinder, Ihre Söhne? Sind sie wohlauf?«
»Ja. Inzwischen sind sie ja erwachsen. Harper, das ist mein Ältester, wohnt hier im Gästehaus. Er arbeitet mit mir in der Gärtnerei.«
»Die Gärtnerei habe ich gesehen, als ich in die Einfahrt gebogen bin.« Hayley ertappte sich dabei, wie sie mit den Händen nervös über die Oberschenkel ihrer Jeans strich. »Die Gärtnerei ist riesig, viel größer, als ich erwartet habe. Sie sind sicher sehr stolz darauf.«
»Ja, das bin ich. Und Sie? Was arbeiten Sie in Little Rock?«
»Ich habe in einer Buchhandlung gearbeitet, zuletzt in der Geschäftsleitung. Es war ein kleiner unabhängiger Laden mit integriertem Café.«
»Geschäftsleitung? In Ihrem Alter?«
»Ich bin vierundzwanzig. Ich weiß, ich sehe jünger aus«, fügte sie mit leichtem Lächeln hinzu. »Das ist mir
gleichfalls egal. Aber wenn Sie wollen, kann ich Ihnen meinen Führerschein zeigen. Ich war am College mit einem Teilstipendium. Tja, ich habe nun mal einen wachen Verstand mitbekommen. Jedenfalls habe ich bereits während der Highschool-, und in den College-Ferien in der Buchhandlung gejobbt. Ursprünglich habe ich den Job gekriegt, weil mein Daddy mit dem Besitzer befreundet war. Aber danach habe ich mir meinen Posten wirklich erarbeitet.«
»Es klingt, als würden Sie dort nicht mehr arbeiten.«
»Ja.« Sie ist eine gute Zuhörerin, dachte Hayley. Und sie stellte die richtigen Fragen. Das gab es nicht oft. »Ich habe vor einigen Wochen gekündigt. Der Besitzer hat mir ein sehr gutes Zeugnis ausgestellt. Er wollte mich eigentlich gar nicht gehen lassen, aber ich hatte beschlossen, Little Rock zu verlassen.«
»Hm, ein schwieriger Zeitpunkt, um das Zuhause und den sicheren Job aufzugeben.«
»Mir schien es der richtige Zeitpunkt zu sein.« Sie blickte zu Stella hinüber, die gerade den Teewagen hereinrollte. »Das ist jetzt wirklich wie im Film. Ich höre mich wahrscheinlich wie ein Bauerntrampel an, aber ich bin echt beeindruckt.«
Stella lachte. »Mir ging es genauso. Ich habe Kamillentee gemacht.«
»Danke, Stella«, sagte Roz. »Hayley erzählte mir gerade, dass sie ihrem Heim und Ihrer Arbeit den
Weitere Kostenlose Bücher