Blütenrausch (German Edition)
ich, wenn es Natalies Mörder war, und er auf die gleiche Idee gekommen war wie ich. Vielleicht lag ja der Schlüssel zu ihrem Mord in diesem Ordner.
Und er suchte nach ihm.
Ich war so still wie nur möglich, traute mich kaum zu atmen, und hielt die Taschenlampe fest im Griff. Das war meine einzige Waffe. Falls er kam. Der Mörder. Eine Weile hörte ich nichts, dann die Erlösung: »Pascha, kommst du jetzt endlich? Mami muss gleich putzen gehen.« Keine Polizei. Kein Mörder. Nur ein Frauchen, die mit ihrem Hund noch kurz Gassi ging, bevor sie zur Arbeit musste. Die Kolonie war doch nicht so verlassen, wie ich dachte.
So langsam wurde es hell. Ich wollte nicht, dass man mich entdeckte, also räumte ich schnell alles wieder an seinem Platz zurück, nur den Ordner nicht. Als ich ihn in meine Tasche packen wollte, rutsche etwas heraus und fiel zu Boden. Ein kleines Heft in einer schwarzen Lederhülle. Ich nahm es in die Hand und blätterte es kurz durch. Natalie schien eine Liste zu führen. Abkürzungen, Daten und noch mal Abkürzungen. Um was es sich genau handelte, konnte ich auf die Schnelle nicht entziffern. Ich verstaute das Heft ebenfalls in meiner Tasche und verließ das Gartenhäuschen.
Jetzt musste ich mich beeilen. In knapp eine r dreiviertel Stunde hatte ich ein Treffen mit einer meiner Kundinnen, und ich konnte es mir nicht leisten, zu spät zu kommen, denn sie zickte sowieso schon ständig rum.
»Da sind Sie ja endlich!«, empfing mich mit vorwurfsvollem Ton eine Brünette in Leopardenlook, als ich die Türschwelle des kleinen Blumenladens in Frohnau überschritt.
Ich verstand s ie ja. Zwanzig Minuten zu spät zu kommen, so etwas tat man einfach nicht. Und ich war diesmal wirklich schuld. In der S-Bahn war ich so vertieft in die Lektüre des kleinen Heftchens, dass ich einfach zwei Haltestellen weiter fuhr. Bis ich dann wieder zurück an der richtigen Haltestelle ankam, dauerte es seine Zeit.
» Es tut mir furchtbar leid, Frau Kunzendorf. Der Taxifahrer musste wegen eines Unfalls einen Umweg machen, dann geriet er in einen Stau«, schwindelte ich vor.
Frau Kunz endorf hob eine Braue und runzelte die Stirn. Trotz meiner ernsten Miene schien sie an meiner Geschichte zu zweifeln. Als sie jedoch meinen Arbeitsordner erspähte, den ich unter meinem Arm hielt, funkelten ihre Augen. Sie hatte erkannt, dass es besser war, sich auf die bevorstehende Unterredung über die Blumendekoration zu konzentrieren, als sauer auf ihre Hochzeitsplanerin zu sein.
» Kommen Sie, setzen Sie sich«, winkte sie und reichte mir die Hand als zweite Begrüßung. Lassen Sie uns keine Zeit mehr verlieren«, befahl sie und warf dabei ihre gefärbte Mähne nach hinten. »Was haben Sie mir mitgebracht?«
Frau Kunzendorf hatte eine sehr bestimmende Art. Das hatte sie zumindest beruflich weit gebracht. Sie besaß fünf Nagelstudios in ganz Berlin und wollte noch weiter expandieren. Auf Männer wirkte sie allerdings eher einschüchternd. Keine Beziehung hielt länger als ein paar Monate. Aber sie wollte endlich einen Mann fürs Leben. Sie hatte sich an eine Heiratsagentur gewandt und ihre Wünsche angegeben. Der Mann ihrer Träume sollte erfolgreich, vermögend, intelligent, sportlich, Nichtraucher und unternehmungslustig sein. Der Prototyp Mann, den sich neunundneunzig Prozent aller Frauen wünschen. Und da sie zur Kategorie Ü50 gehörte und nicht gerade Modelmaße besaß, fühlte sie sich sehr beleidigt, als die Agentur ihr Männer vorschlug, die eins oder höchstens zwei der Merkmale besaßen, meistens das der Unternehmenslust und das des Nichtrauchers. Am Ende fand sie dann doch den passenden Deckel. Herr Berit, oder Bärchen, wie sie ihn peinlicherweise auch gerne vor anderen nannte. Herr Berit war alles andere als unternehmungslustig, und ein starker Raucher, aber als Frau Kunzendorf bei unserem zweiten Treffen mir von ihrem zukünftigen Mann vorschwärmte, versicherte sie mir, dass beide Probleme bald beseitigt wären, dafür würde sie schon Sorge tragen.
D aran zweifelte ich keine Sekunde lang.
Ich setzte mich zu ihr an einen runden Marmortisch. Der Blumenladen roch nach einem Bukett frischer Blüten. Neben den üblichen Pflanzen und Schnittblumen, verkaufte die Blumenhändlerin auch kleine Dekorationsartikel und jede Menge anderen Krimskrams. Sie bediente gerade eine Kundin, die nach mir gekommen war und Interesse an einer Orchidee bekundete. Ich öffnete den Ordner und zeigte Frau Kunzendorf einige Bilder von
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