Blütenrausch (German Edition)
Als ich Sophias erstaunten Blick sah, der mir verriet, dass sie tatsächlich ansatzweise in Erwägung zog, ich könnte Natalie umgebracht haben, stellte ich schnell klar: »Aber das ist natürlich nicht der Fall. Ich will nur damit sagen, dass bis der Täter nicht gefasst ist, alle, die nicht ein wasserdichtes Alibi haben, Verdächtige sind. Und gerade in so einem Fall, wo zum Beispiel Raub keine Rolle spielt, bedeutet es, je näher die Beziehung zu dem Opfer, desto wahrscheinlicher findet man in diesem Kreis den Mörder. Und Bräutigam, Eltern, Freunde, ja sogar Hochzeitsplanerinnen gehören hier zum unmittelbaren näheren Kreis der Toten.«
» Und was ist mit dem Hotelpersonal? Die hätten Natalie auch vergiften können.«
Auf einmal stockte mir der Atem. Ich konnte mich nicht erinnern, dieses Detail in unserem Telefongespräch erwähnt zu haben. »Woher wissen Sie, dass sie vergiftet wurde?«
» Nachdem Sie mich kontaktiert haben, habe ich Natalies Mutter angerufen, um ihr mein Beileid auszudrücken. Sie hat es mir gesagt.«
Das leuchtet ein .
Ich kostete zum zweiten Mal vom Wein . Plötzlich stand Sophia auf und entschuldigte sich: »Ich muss mich mal kurz frisch machen. Bin gleich wieder da.« Sie ließ ihre Handtasche an der Stuhllehne hängen. Das Handy nahm sie aber mit. Schon während sie sich entfernte, tippte sie mit hoher Geschwindigkeit eine SMS.
Als Lutz mit den Speisen kam, stürzte sich Sophia auf den Teller. Und das, obwohl sie fast die ganzen Antipasti aufgegessen hatte. Irgendwie hegte ich den Verdacht, dass sie nicht nur das Essen an Bord verschmäht, sondern in den letzten zwei oder drei Tagen nichts gegessen hatte. Vielleicht war sie ja eine Anhängerin der Tageweise-Blitz-Hunger-Diäten ‒ das würde ihre unglaubliche Figur erklären ‒, denn wenn sie immer so viel aß wie jetzt, hätte sich mit Sicherheit die eine oder andere Frühlingsrolle an ihren Hüften angedockt.
Die Gerichte waren genauso gut, wie Sophia versichert hatte. Ich hatte schon länger keinen Fisch mehr gegessen und war von dem gewürzvollen Geschmack des Soufflés und des zarten Fischs angenehmen überrascht. Zum Kochen hatte ich kaum Zeit, außerdem fand ich es langweilig, nur für eine Person zu kochen. Daher beschränkten sich meine Kochkünste auf das Aufwärmen jeglicher Fertiggerichte, das Belegen von Broten oder das Anmachen von Salaten. Wenn ich auswärts essen ging, was häufig der Fall war, dann bevorzugte ich eher Fleischgerichte.
Eigentlich sollte ich doch mehr Fisch essen, überlegte ich, als ich das Gericht etwa zur Hälfte verspeist hatte. Erfreulicherweise musste ich nämlich feststellen, dass nicht alle Fischsorten so viele Gräten hatten, wie die Fischgerichte in der Kneipe bei mir um die Ecke. Einmal wäre ich dort durch eine Gräte, die so groß wie ein Zahnstocher war, beinahe erstickt. Seitdem hatte sich bei mir gegen alles, was im Wasser schwimmt, eine Abneigung entwickelt.
»Warum heißen Sie eigentlich Lehmann?«, fragte ich, während ich an meinem Stück Fisch rumschnippelte.
»Wie bitte?«
»Ihre Eltern heißen Bradwich.«
»Ach so. Ja, das stimmt. Peter ist mein Stiefvater. Meine Mutter hat zwei Mal geheiratet. Ich behielt den Namen meines Vaters. Aber jetzt zu Ihnen: Sie haben mir immer noch nicht gesagt, weswegen Sie mich treffen wollten.«
Als mein Blick vom Teller zu ihrem Gesicht wanderte, tupfte sie gerade ihren Mund mit der Stof fserviette, vorsichtig, um den Lippenstift nicht zu verschmieren.
Bevor ich zur Antwort ansetzte, schluckte ich einen Bissen runter und trank etwas Wasser. »Da ist tatsächlich etwas, was ich gerne wüsste. Vielleicht können Sie mir ja helfen. Hatten Natalie und ihr Ex-Freund ein gemeinsames Lied?«
» Mit Ex-Freund meinen Sie Tim?« Ich nickte. »Ich glaube, ja. Warten Sie ...« Sie runzelte die Stirn und legte ihr Zeigefinger auf ihrem Mund. »Ich habe es gleich.« Sie überlegte kurz weiter, dann: »Es war irgendwas mit » Happy«. Oh Gott, wie hieß das Lied noch mal?«
» Don't worry, be happy ?«
» Ja, genau! Das ist so ein alter Song aus den Neunzigern, ich weiß nicht mehr, wie der Sänger hieß. Natalie erzählte mir, dass Tim sie damit immer tröstete, wenn sie traurig war oder etwas schief lief.« Plötzlich verwandelte sich ihr Enthusiasmus in pure Verwunderung: »Woher wissen Sie, dass dieses ihr Lied war?«
» Direkt nach der Trauung spielte ein Fremder dieses Stück der Hochzeitsgesellschaft vor, mit einem Saxofon. Da er
Weitere Kostenlose Bücher