Blumen für den Führer
bereit, nur im Gefühl war vieles durcheinander und zu ungewohnt. Sie legte die Hände in die Taille und folgte der Figur, strich über den flachen Bauch, die »Brustpartie«, wie Lydia es nannte. Dann stieg sie auf den Wannenrand und holte oberhalb des Wasserboilers den Silberlöffel aus dem Versteck. Sie wickelte ihn aus und dachte an den Abend. An den Führer, der gegen einundzwanzig Uhr erwartet wurde.
Auf dem Löffel klebten helle Flecken. Sie war nicht sicher, was sie fühlen oder denken sollte. Sie nahm sich vor, ihn zu verschenken. Friedel würde vor Glück weinen, sobald sie ihn berührte. Bis dahin würde sie ihn daheim in ihrem Schreibtisch aufbewahren, der ein Geheimfach hatte. Dort lag schon die Sammlung der Führer-Zeitungsbilder. Reni wickelte den Löffel wieder ein und legte ihn zurück.
Vor dem Spiegel zupfte sie ein letztes Mal ihr Kleid zurecht, prüfte das hochgesteckte Haar, den roten Mund, die Augen. Dann drehte sie den Schlüssel und sagte, als sie öffnete: »Papa, ich bin bereit.«
Im Hinausgehen sah sie einen Kellner und hob ihr Kinn ein wenig; sie glaubte, es sehe selbstbewusster aus. Der Kellner grüßte und verschwand im Treppenhaus.
Man traf sich auf dem Flur. Lydia von Treschke trug ein hautenges, weinrotes Kostüm und dazu passend rote Schuhe mit einem sonderbaren Absatz. »Keilabsatz«, erklärte sie, als
Reni fragte. »Ist ganz was Neues von Salvatore Ferragamo. Sehr teuer. Wirst du noch kennenlernen …« Ihre Hände steckten in schwarzen Satinhandschuhen mit langen Schäften, und sie rauchte, als sie aus dem Zimmer trat. Herr von Treschke und der Vater trugen Smoking. Ihre schon grau melierten Haare glänzten streng und waren glatt zurückgekämmt. Der Vater hatte eine schöne, hohe Stirn und seine Augen wirkten heute ungewöhnlich klar und beinah jugendlich. Sie, Reni, war seine Freude und diese Freude leuchtete in seinem Blick.
Der Aufzug zischte. Der Liftjunge schob die Tür auf. Die Gäste stiegen ein und nannten die Etage. Der Käfig stieg mit klapperndem Geräusch empor. Dorthin, wo der Führer wohnt, dachte Reni. Sie bebte innerlich und holte nur mit Mühe Luft. Lydia war bei ihr, das war ihr Halt. Reni berührte ihren Arm, und Lydia munterte sie auf – nein machte alles schlimmer, als sie sagte: »Pass auf, du bist der Mittelpunkt. Die anderen Damen hassen dich, sobald du eintrittst. So etwas Schönes haben sie noch nicht gesehen.« Dabei lachte sie und zeigte ihre kleinen, nicht sehr schönen Zähne. Aber ihr Mund war wieder einwandfrei geschminkt.
»Viktoria erzählte, der Führer sehne sich nach dem kommenden Montag«, sagte Herr von Treschke. »Wenn dieser verdammte Sportspuk endlich mal sein Ende findet.«
»Das stimmt nicht ganz«, wandte Lydia ein. »Soweit ich weiß, ist er ganz wild auf den sogenannten Lichtdom. Dutzende riesiger Scheinwerfer stellen einen Kranz schlanker Lichtsäulen in den Abendhimmel, die sich unter den Wolken zusammenfinden und ein gewaltiges Zelt bilden. Ich würde mich aber nicht wundern, mein Bester, wenn das bloß eine Idee von Leni Riefenstahl ist.«
Der Lift blieb stehen. Der Junge öffnete. Reni stieg als Erste aus. Ihr Herz trommelte. Lydia deutete auf eine Flügeltür, vor der zwei Blumenkübel standen, frische Gladiolen in allen Farben.
Herr von Treschke klopfte an. Sofort wurde geöffnet. Ein livrierter Diener grüßte ordentlich und bat herein. Obwohl das Abendlicht hereinfiel, wurde der Saal von dicht hängenden Kristalllüstern ausgeleuchtet. Vor den Fenstern standen lange Tafeln voller Silberplatten und Schalen, auf denen sich die Speisen türmten. Lakaien trugen mit Gläsern gefüllte Tabletts herum und machten feine, stumme Diener, sobald man sie fixierte. Sie schienen nicht zu gehen, sie schwebten förmlich, es sah fast aus, als wögen die gefüllten Gläser nichts.
Und nun geschah das, was Lydia geahnt hatte: Reni betrat den Raum und spürte alle Blicke. Fühlte das Abschätzende, sah, wie sich Mundwinkel senkten, hoben, Augen schmälerten und Hände sich bewegten, sah weiches Nicken, hörte Flüstern, obwohl es nicht wahrscheinlich war, weil sich zu viele Menschen in dem Saal befanden. An der hinteren Wand spielte überdies ein Streichquartett.
Gräfin Viktoria von Dirksen sah Reni und löste sich aus dem Gespräch mit einem älteren Herrn. Sie reichte ihre Hand dem Vater, der sich verneigte und einen Kuss andeutete. Zu Lydia sagte sie ohne einen Gruß: »Du hast nicht übertrieben, Liebes. Sapperlot!«
Das
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