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Blumen für den Führer

Titel: Blumen für den Führer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Seidel
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dieser Gedanke selbst schon mal gekommen war. »Manchmal ist mir, als hätte ich das Unglück bloß geträumt.«
    »So geht es Reni sicher auch«, sagte Waltraut. »Mit ihrem Glück .«
    »Ich werde wach und alles ist vorbei.«
    »Weißt du was, morgen lasse ich mich von Herrn Korff zu Renis Vater fahren. Wenn ich sie sehe, kann ich ihr von dir erzählen. Wenn du es möchtest und wenn du ihr vertraust. Und mir.«
    Jockel schloss die heißen Augen. Ihm war ein bisschen übel. Er wusste nicht, ob es der Vorschlag oder die Erkrankung war. Er fühlte sich ganz alarmiert und aufgewühlt.
    Die Frau füllte neues Wasser in das Glas. »Du musst mehr trinken, Junge. Heute Abend komme ich wieder und dann nimmst du noch etwas von den Tropfen. Das wird dir helfen.
Bis dahin solltest du möglichst viel schlafen. Und bleib ja zugedeckt!«
    Jockel merkte, dass er wieder flennen musste. Wohl weil er gleich allein sein würde. Er biss sich auf die Zunge. Waltraut öffnete die Tür.
    Als sie hinausging, dankte er. Das laute Sprechen kostete ihn Kraft. Er sank zurück und fühlte sich, als läge ein Gewicht auf seiner Brust. Kaum hatte sich die Tür geschlossen, als er Reni Anstorm wieder klar und deutlich vor dem inneren Auge sah.

Nächtliches Meer
    D er Seitenwagen des Gespanns war eng und ungefedert. Waltraut litt Qualen. Das Knattern, die Schlaglöcher, der Fahrtwind, die harte Kante um sie her – das alles kam ihr vor wie böse Absicht. Als Korff einmal anhielt, obwohl Gut Haardt noch nicht erreicht war, blickte sie ihn an, als wollte er sie überfallen. Ihre Augen brannten.
    »Herr Korff, wenn ich gewusst hätte, dass ich dort gar nicht lebend eintreffen werde, hätte ich mir etwas anderes ausgedacht, um dem Grafen meine Beschwerde vorzubringen.«
    Korff lachte grob. »Die Geschichte ist voller heiliger Frauen, die freiwillig gelitten haben.«
    Waltraut war überhaupt nicht zum Spaßen zumute. Sie zwang sich ein Lächeln ab. »Wenn Sie mich so trösten … Wie weit ist es noch?«
    »Zwei Dutzend Prellungen und ein paar Knochenbrüche«,
rief er und verschwand zum Austreten hinter einer Gruppe Ginsterbüsche.
    Waltraut genoss die Stille, obwohl im Kopf der Lärm nachklang. Es war früh, aber die Sonne wärmte schon. Sie hörte eine Lerche. Die Welt schien friedlich.
    Korff und sie machten sich Gedanken wegen Jockel. Das Fieber stieg, der Junge fantasierte schon von irgendwelchen Schiffen, die er sicher nie gesehen hatte. Korff kam hinter den Büschen hervor. Waltraut war aus dem Wagen geklettert und vertrat sich die Beine. Ob man den Jungen, fragte sie, selbst wenn er wieder auf dem Posten wäre, zu seiner Flucht ermutigen solle. Es sei vielleicht doch besser, er meldete sich bei der Polizei oder kehre zu seinen Eltern zurück. »So schlimm werden sie nicht sein.«
    Korff widersprach. Er kenne Jockels Eltern nicht, aber er vertraue dem, was Jockel zeige: Angst und den festen Willen, zu seinem Bruder nach Hamburg zu gelangen. »Sie sind Erzieherin. Stimmt doch, dass Kinder ein Gespür für Gefahren haben. Wie Hunde oder Hühner, oder?«
    »Sie glauben doch nicht, dass ich den Jungen im Stich lassen will«, antwortete Waltraut. »Natürlich helfe ich ihm. Ich gehe nicht nur in eigener Sache zum Grafen, das habe ich Ihnen ja gesagt. Ich vergesse ihn schon nicht.« Sie stieg wieder ein, ihre Beine taten weh. »Aber wenn ihm unterwegs etwas passiert?«
    »Sie meinen, auf dem Weg nach Hamburg? Was soll denn schon passieren? Der Junge schlägt sich durch.« Korff trat den Anlasserhebel herunter.
    Der Lärm des Motors machte Waltrauts Sorgen nur noch schlimmer. Sie hatte keine Lust mehr, ihre Gedanken zu erzählen. Nicht diesem alten Knochen Korff, der wie ihr Vater aus dem Krieg kam und kein Verständnis für den Jungen hatte –
nicht mehr vermutlich, als ihm in seiner eigenen Kindheit mitgegeben worden war.
    »Noch zehn Minuten!«, rief er und fuhr los.
    Sie polterten einem flachen Höhenzug entgegen, auf dessen Horizont die regelmäßigen Tupfen ferner Obstbäume eine Chaussee markierten.
    »Wenn Sie wüssten, wie man uns damals als Jungs behandelt hat, würden Sie das Heulen kriegen«, schrie Korff plötzlich in das Knattern. »Jockel ist kein Kind mehr. Der ist von seinem Vater gestählt worden. Machen Sie sich keine Sorgen.« Er gab mehr Gas.
    »Menschen sind aus Fleisch und Blut, nicht aus Eisen oder Stahl«, rief sie zurück. »Wenn Sie denken, ich lasse mich von Ihrer Höllenmaschine zum Schweigen bringen, haben Sie sich

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