Blumen Für Sein Grab
und eine Verlorenheit spürbar, die nicht einmal Rachel ignorieren konnte.
»Wir werden uns bald daran gewöhnen«, sagte sie entschlossen.
»Sie mussten weg, Meredith, früher oder später.« Meredith kehrte die leere Voliere aus, eine Arbeit, zu der sich Rachel nicht in der Lage fühlte. Meredith stieß den Besen mit aller Kraft in die Ecken, um die aufgestaute Wut loszuwerden, und nieste wiederholt, wenn winzige Federn aufgewirbelt wurden und ihr in der Nase kitzelten. In der zweiten Nacht nach Nevils Ermordung fiel es Meredith wesentlich schwerer, Schlaf zu finden, als in der ersten. Vielleicht lag es daran, dass die Kanarienvögel verschwunden waren. Verschwunden, jedoch nicht ohne Spuren zu hinterlassen. Auf ihren Händen hatte sich ein ärgerlicher Ausschlag gebildet, von dem Meredith ganz sicher war, dass sie ihn sich beim Reinigen der Voliere eingefangen hatte. Sie rieb sich die Hände mit Germolene ein und ging mit dem Geruch der Salbe in der Nase zu Bett und in dem Bewusstsein, dass sie während der Nacht überall auf der Bettdecke und dem Betttuch hellrosa Salbenflecken hinterlassen würde. Kanarienvögel, antiseptische Salbe, juckende Hände und allgemeines Unwohlsein im Verein hatten zur Folge, dass sie keinen Schlaf fand und in ihrem Kopf wirre Gedanken kreisten. Gegen vier Uhr morgens stand sie auf und ging hinunter in die Küche, um sich einen Tee zu machen. Sie wollte Rachel oder Mrs. Pascoe nicht stören und bewegte sich leise, und anstatt das große Licht einzuschalten, begnügte sie sich mit den winzigen Lämpchen, welche die Knopfleiste des Kochherds beleuchteten. In diesem Halbdunkel, das von der Helligkeit her Kerzenlicht gleichkam, setzte sie sich an den Küchentisch, trank ihren Tee und starrte zum Fenster hinaus. Zwischen den Vorhängen aus Gingham-Stoff zeigte sich ein erster, sehr schwacher Schein am Horizont und kündete von der Dämmerung des neuen, heraufziehenden Tages. Während Meredith hinaussah, wurden die Umrisse der Bäume sichtbar und zur Linken der rechteckige Umriss der Doppelgarage mit der Wohnung darüber. Und dann bemerkte Meredith das Licht. Es war sehr schwach, ein sich bewegender Stecknadelkopf in der Dunkelheit, und es kam aus dem Stockwerk über der Garage. Jemand war in der Wohnung! Meredith stellte ihren Becher ab und schaltete die schwache Herdbeleuchtung aus. Aus der Dunkelheit der Küche nahm die Welt vor dem Fenster Gestalt an, als das Licht der Dämmerung stärker wurde. Es dauerte einen Augenblick oder zwei, bevor Meredith den Lichtschein wieder sah, doch jetzt bestand kein Zweifel mehr. Sie ging zum Telefon in der Eingangshalle und wählte die Nummer von Markbys Mobiltelefon in der Hoffnung, dass er es bei sich und eingeschaltet hatte. Es dauerte einige Sekunden, dann meldete sich eine verschlafene Stimme. In knappen Worten berichtete sie ihm, was sie beobachtet hatte.
»Du marschierst besser den Korridor hinunter und weckst Hawkins«, schloss sie.
»In Ordnung. Bleib, wo du bist, hörst du? Geh bloß nicht rüber, ja? Wir kommen so schnell wie möglich.« Meredith ging nach oben auf ihr Zimmer und schlüpfte hastig in eine Jeans und einen Pullover. Bis sie wieder unten in der Halle war, hatte die Morgendämmerung richtig eingesetzt und warf ihr graues Licht über den dunstverhangenen Park. Von dem sich bewegenden Lichtschein in Martins Wohnung war nichts mehr zu sehen. Meredith beobachtete weiter die Garage, doch sie entdeckte nicht das geringste Lebenszeichen. Er ist wieder weg!, dachte sie verzweifelt. Wir haben ihn entwischen lassen! Doch war es wirklich Martin gewesen? Falls ja – warum war er zurückgekehrt? Alan würde jeden Augenblick zusammen mit Hawkins hier sein, und dann stand sie mit leeren Händen da. Alan würde ihr glauben, doch Hawkins würde wahrscheinlich sagen, dass sie sich das Licht nur eingebildet hätte, und seine schlechte Stimmung würde sich noch weiter verschlechtern, weil er um vier Uhr morgens aus dem Bett geholt worden war, um Gespenstern hinterherzujagen! Meredith war mit dem Schlüssel der Gärtnerwohnung in der Hand durch die Hintertür hinaus und halbwegs über den feuchten Rasen, als ihr bewusst wurde, was sie tat. In ihrem Hinterkopf protestierte eine Stimme, dass sie gegen Alans ausdrückliche Instruktionen verstieß, doch sie ignorierte sie. Es spielt keine Rolle mehr, dachte sie, denn wer auch immer in der Wohnung gewesen ist, hat sich längst wieder abgesetzt. Ein Rabe krächzte ungehalten über die
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