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Blumenfresser

Blumenfresser

Titel: Blumenfresser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: László Darvasi
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Wo er hinfährt, dort passiert etwas Schlimmes!
    Imre war sich sicher, dass Klara mehr über Peter wusste und in der Tiefe ihres Schweigens etwas vor ihm verbarg. Vor ihremBesuch in Josephstadt, also vor dem Mai 54 hatten ihre Briefe Peter regelmäßig erwähnt, auf die eine oder andere Weise, meistens im Ton unverhüllten Ärgers oder ausgesprochen zornig, dann aber blieb er plötzlich fort, aus dem unerquicklichen Strom der Ereignisse ausgelöscht, als würde er gar nicht mehr existieren. Imre war sich darüber klar, dass Peter ihn nicht im Gefängnis hätte besuchen können, vielleicht hätten sie ihn gleich dortbehalten. Doch warum schwieg Klara über ihn, war ihm etwas passiert? Wenn in den Briefen des Doktors ganz selten einmal die Rede auf Peter kam, wie geheimnisvoll tat dann auch Herr Schütz! Peter reise, sehr viel sogar, und habe sicher eine Gefährtin gefunden, die seiner würdig sei! Soso! Dass Peter zur Vernunft gekommen sein solle, konnte Imre kaum glauben.
    Klara machte sich bereits draußen zu schaffen, und Imre saß lange reglos da.
    Du redest wirklich nicht viel, sagte das Kind, nun schon vertraulicher.
    Ich werde alles erzählen, antwortete er und deutete auf den Getränkeschrank, bring mir die Flasche mit dem grünen Bauch. Das Kind schenkte ein, die Zunge zwischen den Lippen.
    Es ist alles in Ordnung, sagte Imre und trank.
    Vater!, sagte das Kind nach dem dritten Glas.
    Klara ließ sich hinter ihnen nieder, sie hörten ihre Atemzüge. Imre erhob sich und wandte sich zu ihr um. Sie war immer noch eine junge Frau, mit ihrem jetzt blassen, doch leicht errötenden Gesicht, den wenigen grauen Haaren, dem Spiel der den Hals hoch laufenden Falten, dem durchdringenden Blick und mit der schleierartigen Müdigkeit, die Menschen eigen ist, die lange allein gelebt haben und die sie auch dann nicht verlässt, wenn sie wieder einen Partner finden oder der alte zurückkehrt. Nein, Klara hat ihm nicht verziehen. Wie müde sie sein muss! Jeden Morgen mit dem Gedanken an ein solches Vergehen aufwachen, mit dem Groll − wie unpraktisch. Schon allein deshalb, damit es für sie leichter wird, könnte sie sich damit aussöhnen, doch ihr Blick sagt, dass weder das Gefängnis noch die Amnestie etwasan der Lage der Dinge verändert hat, du bist der Gleiche geblieben, du bist fortgegangen und zurückgekommen, der Unterschied ist unerheblich.
    Imre nickte, als würde er zustimmen.
    Vater!
    Das Kind hatte offenbar nicht die geringste Erinnerung daran, dass sie einmal zusammengelebt hatten. Es war zwei Jahre alt gewesen, als sie ihn mitnahmen, und über die Ermordung des Wiener Kriminalinspektors wurde in der Stadt sicher immer noch geredet. Ihr altes Haus war nur ein paar Schritte von dem Gasthaus entfernt, wo auch jetzt Hochbetrieb herrschte, Fuhrwerke und Postkutschen schoben sich rückwärts in den Hof, Kaufleute mit Bierbäuchen bevölkerten die Gästezimmer. Mutter und Kind dürften häufig Spaziergänge zu ihrem alten Haus unternommen haben, es war nicht weit; jetzt wohnte dort eine jüdische Familie, Armin Mózes und Esther, eine seiner Töchter, die einen Gewürzkaufmann namens Jeromos geheiratet hatte.
    Tut dir etwas weh?, fragte der Junge, als Imre den Likör hinunterkippte.
    Mir tut nichts weh, nein.
    Kennst du Struwwelmadonna?
    Die immer singt, nicht wahr? Imre lächelte.
    Woher weißt du, wer das ist?!, fragte das Kind.
    Sie ist die Tochter meines Bruders, sagte Imre und betrachtete die Wanduhr, ein Andenken an seine Studien in Dresden, vor gut zwanzig Jahren gekauft. Diese Uhr war ein Ungeheuer, sie würde auch noch gehen, wenn er nicht mehr lebte. Vielleicht sollte man sie zertrümmern.
    Gut, dass du weißt, wer Struwwelmadonna ist, sagte das Kind. Imre setzte sich wieder neben das Fenster. Stille senkte sich auf sie. Vielleicht dachte der Kleine, es sei richtiger, ihn und Klara allein zu lassen, brachte es aber nicht fertig. Er nistete sich zwischen ihnen ein, ließ sich in der Nähe ihrer Fremdheit nieder, damit sie verstanden, dass es niemals mehr so sein würde, wie es gewesen war, und wenn sie sich erinnern wollten, konntensie das nur gemeinsam mit ihm tun. Es wurde Nachmittag, und sie hatten noch nichts gegessen. Dem Kind knurrte der Magen, Klara fielen die Augen zu, und auch Imres Kopf wurde schwer. Und dann schliefen sie ein. Sie schliefen und träumten, und das Kind dachte sicher, sie hätten es verlassen. Es war bestimmt enttäuscht und fühlte sich schon jetzt betrogen.
    Es wollte aus dem Zimmer

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