Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blumenfresser

Blumenfresser

Titel: Blumenfresser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: László Darvasi
Vom Netzwerk:
huschen.
    Kommst du morgen mit?, fragte Imre.
    Wohin?, fragte der Junge, ohne sich umzudrehen.
    Wir machen eine Runde durch die Stadt.
    Ich bin oft in der Stadt! Ich kenne dort jeden Winkel, setzte er stolz hinzu, und Imre war überrascht, wie trotzig er sprach.
    Haben wir wirklich einmal so viele Blumen gehabt?!, fragte das Kind.
    Imre wollte rauchen und tastete nach der Tabaksdose. Klara schreckte hoch und rieb sich die Schläfe. Das dritte Zündholz fing Feuer. Die Zündhölzer waren nicht viel wert. Das Licht ermüdete, der Himmel bedeckte sich, zuerst nieselte es, dann fing der Regen an, er hatte einen seltsamen, metallenen Schein. Die Dachrinne trommelte beseligt, brodelnd strömte das Wasser die Straße entlang. Jemand sang zu seiner Musik, das Lied war sehr bekannt.
    Ist sie es?, Imre horchte.
    Struwwelmadonna, sagte das Kind. Manchmal spielen wir zusammen. Sie kann Brot aus meinem Mund essen, ohne mich zu berühren, und mit ihrer Zunge Schmetterlinge und Hornissen fangen. Sie sieht Frösche so lange an, bis sie ins Gras beißen. Sie weiß, wo Tote in der Erde liegen. Sie weiß, wo Schätze in der Erde liegen. Sie heißt Struwwelmadonna, sie kann nicht lügen, nur singen.
    Der Junge überlegte, natürlich sagt sie auch nie die Wahrheit, sie singt immer nur, setzte er hinzu.
    Morgen gehen wir zusammen in die Stadt, sagte Imre und streichelte dem Kind über den Kopf.
    Er hatte das Gefühl, gleich in Ohnmacht zu fallen.
    Verkatert wie er war, zitterten ihm beim Ankleiden die Finger, Schweißperlen standen ihm auf der Stirn, doch in den Anzug deutschen Schnitts, den er auf einer Reise nach Leipzig gekauft hatte, kam er leicht hinein, während der Gefangenschaft hatte er kein Gramm zugenommen. Er zog Halbschuhe an, band sich eine Krawatte um und richtete sich den Hemdkragen. Den Hut gab er Klara zurück, er wollte lieber barhäuptig ausgehen. Das Kind betrachtete ihn − offenbar machte er nun den Eindruck eines achtbaren Mannes. Gut, wir können gehen, sagte er und nahm es bei der Hand. Es war noch nicht Mittag, doch schon warm, die Welt strahlte, auf der Kalvarienbergstraße dampfte Pferdekacke. Sie ließen sich Zeit, die Bäume nickten mit ihrem Grün, Staub wirbelte, von einem Fuhrwerk fielen wie riesige Blutstropfen Kirschen herab. Passanten drehten sich nach ihnen um, ein Mann mit einer Warze machte höhnische Verbeugungen, Gott zum Gruß, Herr Schön, ist es gut, wieder zu Hause zu sein, Herr Schön?
    Auch andere grüßten, Hüte wurden gelüftet.
    Meine Empfehlung, Herr Professor!
    Meinen Gruß, meinen Gruß, Herr Schön!
    Was für eine Freude, Sie wiederzusehen, Herr Schön!
    Imre blieb nicht stehen, nickte nicht einmal.
    Vater, flüsterte der Junge.
    Es macht nichts, dass du Angst hast, auch ich habe Angst, brummte Imre.
    Wovor haben wir Angst?, flüsterte das Kind.
    Dass wir nicht den Ort sehen, an dem wir uns befinden.
    Der Junge verstand nicht. Eine korpulente Frau blieb neben ihm stehen und reichte ihm einen Apfel, er nahm ihn, biss jedoch nicht hinein, sondern warf ihn später weg. Vor dem Kaffeehaus Goldener Löwe hoben ältere Herren ihre Hüte. Er spürte Erleichterung, das quietschende Eisenschild mit dem schielenden Löwen gefiel ihm. Der Vater grüßte knapp, auf ein Gespräch ließ er sich nicht ein. Im Kaffeehaus hingen Rauch und saurer Weingeruch in der Luft. Imre benahm sich so natürlich, als seier erst gestern hier gewesen. Sie setzten sich an einen kleineren Tisch, Imre blickte sich um, dann drückte er die Hand des Kindes.
    Vergiss nie: Auch wenn ich genau wüsste, wie es geschehen ist, würde ich es anders erzählen!
    Warum kann man es denn nicht so erzählen, wie es geschehen ist?, fragte das Kind.
    Wir erzählen es immer anders, antwortete Imre und winkte dem Kellner.
    Und wenn wir es anders erzählen, dann reden wir von etwas anderem? Der Junge kniff die Augen zusammen.
    Du bist klug, er streichelte seinem Sohn den Kopf und fügte hinzu, wenn du bloß klüger wärst, als ich es war! Mit einem Blick dankte er dem Kellner für den Wein. Das Kind bekam Limonade. Imre nahm einen gierigen Schluck.
    Das bedeutet, dass du keine Geheimnisse vor mir hast?, fragte der Junge.
    Nein, das bedeutet es nicht.
    Du hast doch Geheimnisse?
    Ich will nichts vor dir verheimlichen. Man ist nicht unbedingt Mitwisser der eigenen Geheimnisse. Manchmal erzählen wir unsere Geheimnisse nicht selbst. Doch es soll dir ein Trost sein, mein Sohn, dass andere sie erzählen.
    Was man erzählt, kann kein Geheimnis

Weitere Kostenlose Bücher