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Blumenfresser

Blumenfresser

Titel: Blumenfresser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: László Darvasi
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die längliche Kopfform geerbt. Doch Imre hatte ein fieberhaftes, träumerisches Naturell, ein anderes als der Vater. Und er, Peter, war aus dieser unglücklichen Familie herausgewachsen wie wildes Fleisch. Niemals wollte er die Früchte heimlich genießen, niemals im Verborgenen leben, er wollte keine Welt, von der man nicht reden konnte, und keine Worte, die in eine verbotene Welt führten.
    Der alte Mann trank, ohne seinem Sohn einzuschenken, Peter hatte sich ergeben, die traurige Kraft, die der Vater verströmte, hatte ihn niedergezwungen, er wartete nur noch, mehr brauchte er nicht zu tun. Der Vater würde reden und alles erzählen. Reden konnte man auf so viele verschiedene Weise! Die Flasche war leer, die Novembersonne blinzelte bleich zwischen den Hausdächern, doch bald zogen dicke, schmutzige Wolken über die Stadt. Ein paar Tropfen fielen, dann blies nur noch der Wind, von seinen erbosten Stößen zitterten die Mauern geradezu, das Fenster ächzte. Von sich aus holte Peter die nächste Flasche, seine Füße waren sehr kalt. Der braune Sirup blieb dem Alten in den Mundwinkeln kleben, er schwieg, der Alkohol schien ihm nichts anzuhaben. Krumm saß er da, manchmal kratzte er an der Flasche, an dem bunten Etikett. Umständlich fingerte er in der Jackentasche herum, bevor er eine Tuschzeichnung auf den Tisch legte. Allmählich erkannte Peter darauf die Geliebte des Vaters, der Alte strich über die sich aufrollenden Ränder des Blatts, kniff die Augen zusammen, beugte sich vor, schließlich steckte er die Zeichnung wieder ein. Er schaffte es nicht, sich nachzuschenken, schob nur das Glas zur Flasche, und Peter füllte es für ihn. Und als würde er zuhören, dem anderen die ganze Zeit über zuhören, füllte er es immer von neuem.
    Es mochte zehn Uhr sein, die Glocken läuteten, die zweite Flasche war leer. Ein gammeliges Lächeln knitterte das Gesicht des Alten, er atmete mit offenem Mund. Aus seiner Nase kringelte sich ein Haar. Und er schmatzte und schmatzte. Als er vom Stuhl fiel, schlug er mit dem Kopf auf und befleckte den Steinboden mit Blut. Peter sah ihn an wie eine Erscheinung, er rührte sich nicht.
    Es wurde heftig gegen die Tür gepocht, Rufe waren zu hören.
    Den bewusstlosen Körper in den Armen, ging Peter zur Tür und öffnete. Draußen wartete Doktor Schütz.
    Was ist passiert?, fragte er leise.
    Er hat sich begraben, antwortete Peter.
    Doktor Schütz hob fragend die Augenbrauen.
    Er hat sich in mir begraben, sagte Peter, nicht in jemand anders, in mir! Dann wandte er sich mit dem Körper um und ging in die leere, fremde Wohnung, er schien über glühendes Eis zu schreiten, immer weiter hinein ging er, seine Sohlen waren sehr kalt.
    Im Frühling des Jahres neununddreißig bekam er unvermutet seinen Anteil am väterlichen Erbe. Der Vater sagte gar nichts, legte nur den Packen des Erbvertrags auf den Küchentisch, neben eine leere Likörflasche und ein volles Glas. Peter erhielt eine Menge Geld und Wertpapiere, er wurde sein eigener Herr und konnte tun, wonach ihm der Sinn stand. Er verstand nicht, was in den Vater gefahren war.
    Die Freude soll begossen werden!, schmatzte der Vater.
    Peter empfand keine Freude, er wunderte sich nur. Er trieb eine zweite Flasche auf und stieß mit dem Vater an.
    Jetzt kannst du fortgehen, mein Sohn. Geh nur! Der Vater war leidenschaftlich geworden, Peter sah, dass der Rand des Glases vom Mund des Vaters blutig war.
    Wohin soll ich gehen, Vater?!, fragte er leise.
    Der Vater holte sein Taschentuch hervor und spuckte hinein.
    Schon am nächsten Tag fuhr Peter aus der Stadt und begab sich in das Gasthaus an der Biegung der Budaer Straße. Er mietete das beste der drei Gästezimmer, der Wirtin, die Margit hieß und den Hühnern wunderschön die Hälse durchschneiden konnte, teilte er mit, dass er nicht gestört werden wollte.
    Ohne die Musik des Luftzugs, der durch die Mauerritzen säuselte, auch nur zu bemerken, begann er zu dividieren und zu multiplizieren. Es war Vormittag, als er mit dem Rechnen anfing, und in der Nacht war er immer noch beschäftigt. Einmal durfte Margit die quietschende Tür öffnen, um ihm einen Krug Wein, Weißbrot und Rindfleisch mit Meerrettich und Senf zu bringen, sie sah nichts als vollgeschriebenes Papier, auf dem sich Spalten, Säulen und Schlangenlinien aneinanderreihten, während der riesige Kerl schlaftrunken, mit geröteten Augen über den Tisch gebeugt dasaß. Der junge Mann war ein Gelehrter! Ein Mathematiker! Oder Philosoph! Sie

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