Blumenfresser
wagte nicht, ihn zu stören. Der Morgen war erst ein grauer Streifen, das Vogelgezwitscher noch nicht erklungen, doch Peter sah sich bereits in der Gasthausküche um und erkundigte sich brummig, wo zum Henker sein Frühstück blieb. Die Wirtin lief mit zerzaustem Haar herbei, sie hatte einen Pantoffel verloren und den Morgenrock nur eben schnell vor der Brust zusammengezogen. Sie briet aus fünf Eiern Rührei, auch den Rest des Rindfleischs brachte sie dem seltsamen jungen Mann hinauf, der weder Philosoph noch Mathematiker sein konnte, denn solche gelehrten Herren pflegten nicht so viel zu verschlingen. Margit kehrte nicht gleich wieder in die Küche zurück, und sie hatte guten Grund zu warten, bisder Gast alles vertilgt hatte. Sie stand neben ihm und sah ihm zu, wie er aß. Der Bursche kaute wie ein Pferd und schluckte wie ein Bergwerk. Wunderschön! Peter kippte den restlichen Wein hinunter, wischte sich den Mund mit einem vollgeschriebenen Blatt Papier ab und zog die Frau an sich, der nicht nur in körperlicher Hinsicht ein außergewöhnliches Erlebnis zuteil wurde, sondern unbegreiflicherweise bekam sie so viel Geld, dass ihr vor Verblüffung der Mund offen stehen blieb. Dann aber, noch mit ab und zu aufflackernder Glut im Schoß, begann sie sich erschreckt zu sträuben. Das sei sicher schlechtes Geld und mit Verbrechen erworben! Peter lachte, über Nacht hatten die Bartstoppeln sein Gesicht eingeschwärzt.
Hier ist das Papier, er schwenkte das amtliche Nachlassdokument, das Erbe meines Vaters.
Doch warum gebe er ihr das?! Vielleicht um es samt Zinsen zurückzufordern? Um damit zu wuchern?!
Peter schüttelte lächelnd den Kopf. Er kannte die Wucherer von Szeged gut, die Unglücksvögeln gerne einen vierzigprozentigen Zins draufschlugen.
Er wolle nichts weiter, sagte er, als dass er immer ein Zimmer bekomme, wenn er in der Gegend sei.
Margit fand erst wieder Ruhe, als Monate später Peters Gestalt im Hof des Gasthauses ihren Schatten warf. Er war in Begleitung einiger Tagediebe, doch die Sache mit dem Geld erwähnte sie mit keinem Wort, und auch jetzt zahlte er alles Konsumierte auf Heller und Pfennig. Margit hatte sich lange nicht sicher gefühlt, nachts stellte sie sich vor, dass der Bursche, der kein Gelehrter, kein Mathematiker war, eher eine Art Räuber, einmal über sie herfallen, Geld, das Gasthaus fordern würde, und jetzt war sie dankbar, dass sie beruhigt sein konnte. Peter hätte auch früher kommen können, doch dann wäre ihr Dank kleiner und vergänglicher gewesen. So aber hatte er Bestand, solange sie lebte.
Er gab das Geld mit vollen Händen aus. Er spielte Karten, bestellte in Gesellschaft anrüchiger Frauen und zwielichtiger Gestalten Champagner, ein andermal in einer Runde vornehmer Stadträte, stets war er galant und gut gelaunt. Er wusste auf den Groschen genau, wem er wie viel gegeben hatte und welche wirtschaftlichen oder politischen Interessen der Betreffende vertrat. Jegliche Verschwendung war eine vorausschauende Investition. Dass er mit einem Schiffszöllner bis zum Morgen trank, dass er einen Juristen beleidigte, der keine Satisfaktion verlangte, weil Peter ihn anderntags in aller Form um Verzeihung bat und ihm für das Vergessen Geld anbot, all das geschah nicht zufällig. Er suchte keine Freunde und Zechgenossen, sondern investierte, knüpfte Bekanntschaften und Beziehungen, die späteren Nutzen versprachen. Und warum wohl verbrachte er Wochen mit einem Burschen namens Ignác Kigl, warum schleppte er ihn nach Pest und verwöhnte ihn mit Speis und Trank, warum nahm er ihn in ein jüdisches Gasthaus in der Königstraße mit? Kigls Vater war Zeitungsredakteur, er schickte Berichte über Szeged an die Hauptstadtblätter, er schrieb über die Zurückdrängung deutscher Predigten, über die Gründung der Musikschule oder die in der Stadt wütenden Feuersbrünste. Kigl senior war jedoch ein Niemand. Die Erklärung war einfach, der Sohn des Zeitungsredakteurs sprach so gut Deutsch, als wäre seine Mutter eine Deutsche gewesen.
Kigl, liebst du deinen Vater?, fragte er ihn einmal.
Kigl dachte nach. Ich glaube nicht. Vielleicht zuckte er etwas zu unbekümmert mit den Schultern, ist nicht so wichtig. Warum fragst du?
Peter spitzte gedankenverloren die Lippen und kratzte mit seinen großen Nägeln an dem Krug, weißt du, ich habe immer geglaubt, ich hätte keinen Vater. Jetzt wird er bald sterben. Und vielleicht werde ich gerade dann wirklich einen haben!
Nur eine interessante
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