Blut & Barolo
es genug. Denn es war an der Zeit. Endlich. Die Wege waren vorgezeichnet, er würde über sie wandeln. Ganz leise, und eigentlich im Rücken aller, erhob er sich, doch sofort drehten sie sich zu ihm um, erstarrten dann, nicht wissend, warum. Genau das hatte der Spürer erwartet.
»Du wirst deine Rache noch bekommen, Hündin. Doch du wirst warten müssen. Ich werde dir sagen, wann es so weit ist. Erst einmal gehört diese Bulldogge mir.«
Tommaso preschte auf ihn zu. Er wollte sich messen. Natürlich. Er war stark und wütend, doch naiv, sein Geist ein welkes Blatt, das keinen Widerstand leisten würde, wenn man es zerdrückte.
»Du dreckige, nutzlose Töle«, begrüßte der Spürer ihn, woraufhin Tommaso angriff, das Maul so weit geöffnet, als wollte er den blinden Border Collie mit einem Biss verschlingen. Die Taube auf dessen Rücken gurrte kurz auf, und der Spürer wich der Attacke durch einen einfachen Schritt zur Seite aus. »Schwach bist du, wie ein hilfloser Welpe.«
Die anderen Hunde betrachteten das Schauspiel fassungslos, und ein Wort machte rasend schnell die Runde, das der Trüffelhund ausgesprochen hatte. »Spürer.«
Weitere Angriffe der tumben Bulldogge endeten im Leeren. Er griff an wie ein abgerichteter Hund, der Spürer bemerkte es sofort.
»Du warst bei der Polizei, Köter«, fuhr er deshalb fort.
»Sie haben dich rausgeworfen, nicht wahr?« Seine Stimme wurde bedrohlicher. »Sollen wir es allen erzählen?« Wieder ein Gurren, ganz nah. Im letzten Augenblick konnte der Spürer zur Seite springen – und warf sich auf das Ungetüm. »Von einem blinden Hund besiegt werden? Willst du das, Schlappschwanz?«
Jetzt hätte ihn die Bulldogge töten können. Der Spürer hatte sich zu weit dessen spitzen, geifernden Zähnen genähert und war zu langsam, um rechtzeitig fort zu können. Doch er hatte keine Angst. Dumme Hunde waren einfach zu durchschauen. Dieser war nicht komplizierter als ein Bleistift.
»Tommaso folgt dem mächtigen blinden Hund!«, sagte die Bulldogge und warf sich auf den Rücken, ihre Kehle darbietend. »Was soll Tommaso tun? Wen soll Tommaso töten? Jeden hier?«
Die anderen hörten die Worte – und die Vorfreude darin.
»Niemanden. Halt sie nur auf Abstand, vor allem den lästigen Pharaonenhund. Ich muss mit dem Sindone sprechen. Sorge dafür, dass alle anderen ihre Schnauze halten.«
Das tat die Bulldogge und wirkte mit einem Mal wieder drei Köpfe größer.
Der Spürer legte sich auf das Tuch, und die Welt verstummte, als wäre sie plötzlich hinter Glas. Keine fernen Schritte von Passanten, nicht das Brummen der einfahrenden Züge unter ihnen, nicht einmal der Atem der Meute war zu hören. Dann erstarrte der Spürer. Seine Augen waren weit aufgerissen, obwohl sie doch nichts sehen konnten. Sein Mund öffnete sich langsam. Nur einen Spalt. Eiskalter Odem entströmte. Es klang wie ein fernes Echo, das sich immer weiter fortzupflanzen schien. Dann zuckte der Spürer spastisch, jaulte auf, winselte. Doch es war wie eine Erinnerung, nicht als geschähe es in diesem Augenblick. Wieviel Zeit verging, konnte im Nachhinein keiner der Meute sagen. Doch als der Spürer die Augen wieder schloss, kehrten die Geräusche der Welt mit einem Schlag zurück, als sei der Schutzwall gebrochen.
Die Mutigen wie die Ängstlichen, die Erfahrenen wie die Unvorsichtigen, sie alle wichen zurück, als der Spürer nun vom Sindone stieg und zu Giacomo ging.
»Du hast etwas zu sagen, alter Recke. Sprich es aus. Es soll genauso geschehen.«
Den Spürer wunderte nicht, dass plötzlich so freundliche Worte aus seiner Schnauze drangen. Sie erschienen ihm ganz natürlich. Er wusste nicht mehr, warum er hier war. Nur dass er etwas gefunden hatte. Es hatte großen Wert, und er hatte mit einer Erinnerung dafür bezahlt. Bloß welcher?
»Kannst du den Duft des Täters aus dem Gewebe lösen, Spürer? Er muss es berührt haben, doch ich kann ihn unter all den anderen Düften nicht wahrnehmen.«
»Angstschweiß«, antwortete der Spürer. »Ja, der ist darin.« Hunde selbst besaßen nur an den Pfoten Schweißdrüsen, doch sie wussten, wann die salzige Flüssigkeit aus den Menschen trat. »Nur eine flüchtige Berührung, die sich der Dieb gestattete, mit den Fingerspitzen. Warte einen Moment.«
Der Spürer atmete ein, sog alles Unsterbliche fort von dem Tuch, so dass es darüberlag wie ein schwerer, dichter Nebel, und bedeutete dem Trüffelhund, sein Haupt zu senken, zur Wange des abgebildeten Gottessohns.
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