Blut: Ein Kay-Scarpetta-Roman (German Edition)
blutige Edelstahlmesser, das Dawn Kincaid mir in den Rücken hatte rammen wollen.
Ich fühlte mich am ganzen Körper klebrig und hatte einen Geschmack im Mund, als wäre ich durch einen Sprühnebel aus Blut gegangen. Dabei musste ich an die Berichte der Soldaten denken, die in Afghanistan Zeuge geworden waren, wie ein Kamerad von einem Sprengsatz zerrissen wurde. Gerade noch war er da gewesen. Im nächsten Moment war da nur noch ein roter Dunstschleier. Als Dawn Kincaids Hand an der rasiermesserscharfen Klinge des Injektionsmessers abrutschte, das mit einem Druck von vierhundert Kilo auf zweieinhalb Quadratzentimeter komprimiertes Kohlendioxid ausstößt, wurde ich mit ihrem Blut bespritzt wie mit einer Airbrush-Pistole und fühle mich seitdem an Stellen beschmutzt, die ich nicht erreichen kann. Allerdings verbessere ich Kathleen Lawler nicht und verrate ihr auch nicht die kleinste Kleinigkeit, weil ich es merke, wenn mich jemand auf eine falsche Fährte locken, belügen und vielleicht sogar verhöhnen will. Ich denke an Tara Grimms Warnung, Kathleen würde Distanz zu ihrer Tochter vorgaukeln, obwohl die beiden sich in Wirklichkeit sehr nahestehen.
»Anscheinend sind Sie gut informiert«, stelle ich stattdessen fest. »Sicher haben Sie beide viel Kontakt.«
»So ein Schwachsinn, ich werde mich ganz bestimmt nicht bei ihr melden«, protestiert Kathleen kopfschüttelnd. »Bei den Schwierigkeiten, in denen sie steckt, würde nichts Gutes dabei herauskommen. Noch mehr Probleme kann ich wirklich nicht gebrauchen. Was ich weiß, habe ich aus den Nachrichten. Wir dürfen im Computerraum unter Aufsicht ins Internet. Und in der Bibliothek gibt es ausgewählte Zeitungen und Zeitschriften. Bevor ich hierherverlegt wurde, habe ich in der Bibliothek gearbeitet.«
»Dort haben Sie sich bestimmt wohl gefühlt.«
»Direktorin Grimm findet, dass man Menschen nicht resozialisieren kann, indem man ihnen Informationen vorenthält und sie in einem Nachrichtenvakuum leben lässt«, erwidert sie, als könnte die Direktorin zuhören. »Wie sollen wir wieder in der Welt da draußen leben, wenn wir nicht wissen, was dort los ist? Das hier ist natürlich keine Resozialisierungsmaßnahme.« Ihre Handbewegung zeigt, dass sie Haus Bravo meint. »Sondern ein Wegsperrschuppen, ein Friedhof, ein Ort, an dem man verfault.« Offenbar macht sie sich keine Gedanken mehr über Lauscher. »Was wollen Sie von mir erfahren? Ansonsten wären Sie doch nicht hier. Es spielt keine Rolle, wer angeblich zuerst nachgefragt hat. Das lief sowieso nur zwischen den Anwälten.« Kathleen starrt mich an wie eine Schlange, die gleich zubeißen wird. »Ich glaube nicht, dass Sie einfach nur nett sein wollen.«
»Mich würde interessieren, wann Sie Ihre Tochter zum ersten Mal richtig kennengelernt haben«, entgegne ich.
»Sie wurde am 18. April 1979 geboren, und als ich sie zum ersten Mal traf, war sie gerade dreiundzwanzig geworden.« Kathleen betet den zeitlichen Ablauf herunter wie auswendig gelernt. Außerdem strahlt sie inzwischen Kälte aus und gibt sich nicht mehr so viel Mühe, freundlich zu sein. »Ich weiß noch, dass es kurz nach dem 11. September war. Im Januar 2002. Sie sagte, der Terroranschlag sei einer der Gründe, warum sie mich gesucht hätte. Das und der Tod der Leute in Kalifornien, bei denen sie gelandet ist, nachdem man sie wahllos herumgereicht hatte. Das Leben sei zu kurz. Das wiederholte Dawn mehrmals, als sie mich das erste Mal besuchte. Sie habe an mich gedacht, seit sie sich erinnern könne, und sich gefragt, wer ich bin und wie ich aussehe. Ihr sei klar geworden, dass sie erst zur Ruhe kommen könne, wenn sie ihre leibliche Mutter gefunden habe. Also hat sie mich gefunden. Hier im GPFW, allerdings nicht wegen der Straftat, wegen der ich jetzt einsitze. Damals ging es um Drogen. Ich war eine Weile draußen und dann wieder im Knast, und es ging mir ziemlich dreckig deswegen. Ich war so verzweifelt wie noch nie im Leben, weil es so verdammt aussichtslos und ungerecht war. Wenn man kein Geld für Anwälte hat und auch nicht wegen eines medienwirksamen Schwerverbrechens berühmt wird, kümmert es niemanden. Man wird einfach weggesperrt. Und da war ich also, wieder einmal eingelagert, und eines Tages, ich werde nie vergessen, wie überrascht ich war, bekam ich aus heiterem Himmel die Nachricht, eine junge Frau namens Dawn Kincaid wolle den ganzen Weg aus Kalifornien anreisen, um mich zu besuchen.«
»Wussten Sie, dass das der Name Ihrer
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