Blut für Blut: Thriller (German Edition)
wieder in seinem Heimatland, versteckt in der Ruine eines abgebrannten Hauses, während ihm Staub im Hals kratzte und Kugeln um die Ohren pfiffen.
Das Freizeichen erklang – der Fremde hatte aufgelegt. Tibor keuchte laut vor Angst. Die Hunde kamen zu ihm herübergetrottet und leckten ihm das Gesicht, Molly fiepte unruhig, und er drückte sie fest an sich.
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»Alles kommt auf einmal. Wir stecken mitten in einer Mordermittlung, wir fahnden nach einem Serienvergewaltiger, der immer dreister wird, und du willst zur Beerdigung deiner Tante.« Brodersen starrte Rebekka einen Augenblick kühl an, die nur mit den Schultern zuckte. Sie hatte nicht damit gerechnet, die Erlaubnis zu bekommen, nach Ringkøbing zu fahren, aber sie hatte ihren Chef gefragt, wie sie es ihrer Mutter versprochen hatte. Brodersen seufzte und schob sich die Lesebrille auf die Nase.
»Trotzdem finde ich, dass du fahren solltest. Ich spüre, dass deine Tante dir viel bedeutet hat.« Er nickte ihr zu, die Audienz war vorbei. Rebekka zögerte einen Augenblick auf dem Weg aus seinem Büro.
»Meine Tante hat mir viel bedeutet, aber nichts beschäftigt mich mehr als die Ermittlungen … die Ermittlung. Vergiss, dass ich dich gefragt habe, an ihrer Beerdigung teilzunehmen, ich habe es meiner Mutter zuliebe getan. Ich bleibe hier.«
»Rebekka, fahr und komm so schnell wie möglich zurück.«
Rebekka kämpfte mit sich, und Brodersen wiederholte den Satz: »Fahr, Rebekka.«
»Dann mache ich das, aber ich komme direkt nach dem Begräbnis wieder und arbeite.«
»Das erwarte ich auch.«
Rebekka ging zurück in ihr Büro, wo Reza sich die operative Fallanalyse zu den Menschen in Kissis Umfeld ansah. In den nächsten Stunden ließen sie jeden durch den Computer laufen, jedoch ohne Resultat. Reza stöhnte resigniert auf seiner Seite des Schreibtisches, und Rebekka massierte sich die Schulter, die vor Anspannung ganz hart war, als Simonsen den Kopf zur Tür hereinsteckte.
»Ich habe ganz vergessen zu sagen, dass Thomas, Kissis Sohn, ein paarmal angerufen hat, als ihr unterwegs wart. Er wollte mit euch reden. Ich glaube, es war wichtig.«
Sie warfen sich über den Tisch einen langen Blick zu. Ein Spaziergang in die Brolæggergade wäre eine angenehme Unterbrechung der Papierarbeit.
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»Ich hoffe, dass ich meine Theorie gründlich genug dargelegt habe.« Sejr sah den pensionierten Kriminalkommissar Jarler, der ihm gegenübersaß, eindringlich an. Sejr hatte sich große Mühe gegeben, so gepflegt wie möglich auszusehen. Er hatte geduscht und sich seine besten Sachen angezogen. Jarler sollte nichts an ihm auszusetzen haben, seine Glaubwürdigkeit durfte nicht angezweifelt werden.
Er musste jedoch zugeben, dass er selbst ein wenig überrascht und enttäuscht gewesen war, als Jarler ihm die Tür geöffnet hatte. Die Jahre waren auch an dem Kommissar nicht spurlos vorübergegangen. Er erzählte, dass er kurz nach seiner Pensionierung ein Blutgerinnsel im Gehirn gehabt hatte und dass seine linke Seite durch die Krankheit gelähmt war, wodurch auch sein Aussehen und seine Aussprache gelitten hatten. Er sprach leicht näselnd und war hin und wieder schwer zu verstehen. Sie hatten Kaffee getrunken, während Sejr seinen Verdacht dargelegt hatte, und jetzt saßen sie sich in tiefen Ledersesseln gegenüber. Jarler nickte ihm gutmütig zu.
»Ich hatte ihn seinerzeit ja auch im Verdacht. Irgendetwas stimmte da nicht, aber ich konnte es nicht beweisen.«
Jarler griff mit seiner gesunden Hand nach der Kaffeetasse, die trotzdem so zitterte, dass Kaffee auf seine Hose tropfte. Es schien ihn jedoch nicht weiter zu stören, und Sejr unterließ es, das Unglück zu kommentieren; er wollte den Mann um alles in der Welt nicht in Verlegenheit bringen.
»Ich zweifle nicht daran, dass wir es mit einem waschechten Psychopathen zu tun haben, der alles tun wird, um seiner Strafe zu entgehen. Ich erinnere mich, dass ich ihn seinerzeit auch ein paarmal interviewt habe, und schon damals ist er mir unsympathisch gewesen.« Sejr verzog das Gesicht, während er redete, und die Grimasse brachte den Kommissar zum Lachen, und plötzlich glich er wieder seinem alten Selbst, als er Sejrs wichtigster Informant im Präsidium gewesen war; die gelähmte Seite war jetzt ein wenig glatter und ließ sein Gesicht symmetrischer aussehen.
»Sie sollten mit Ihrem Verdacht zur Polizei gehen.«
»Das tue ich doch gerade.« Ein kurzes Lächeln entblößte Sejrs Zähne.
»Sie wissen, was ich
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