Blut klebt am Karlspreis
Unmögliches anstellen können. Darauf können wir uns verständlicherweise nicht einstellen. Jedoch glauben wir, so ziemlich alle möglichen Situationen in den Griff zu bekommen.“
Die Niedergeschlagenheit, die ich gestern noch bei Böhnke bemerkt hatte, war verschwunden.
„Das war der fehlende Schlaf“, behauptete er wenig überzeugend, als wir ins Büro zurückgingen. Böhnke griff zum Fax, das auf seinem Schreibtisch lag, und stöhnte kurz auf, nachdem er es gelesen hatte.
„Was ist?“
„Unsere Chaoten haben wohl ein neues Opfer im Visier.“
„Wieso?“
Böhnke reichte mir das Fax, das ich schnell überflog. Das Schreiben war vom Bundesgrenzschutz und informierte über einen Zwischenfall in den belgischen Ardennen. Der Großherzog von Luxemburg war bei der Fahrt von Luxemburg nach Aachen nur knapp einem Anschlag entronnen. Aus dem Hinterhalt hatten Unbekannte auf schnurgerader Strecke in einem Waldstück mit Gewehren auf die Limousine geschossen. Die Projektile schlugen in den Kofferraum ein. Der gesicherte Wagen konnte aus eigener Kraft weiterfahren. Die sofort alarmierte Polizei hatte bei ihrer Fahndung nach den flüchtenden Schützen keinen Erfolg gehabt, zumal es keine Zeugen gab. Die Attentäter hatten sich in den dichten Wäldern absetzen können, ohne Spuren zu hinterlassen.
Der BGS bat, dieses Attentat nicht zu publizieren. Es sei aus ermittlungstechnischen Gründen derzeit günstiger, es geheim zu halten. Auch könne durch ein Schweigen weitere Unruhe vermieden werden. Der Großherzog habe sich mit dieser Vorgehensweise einverstanden erklärt.
„Passiert so etwas häufiger?“, fragte ich Böhnke. Mir schien es, als handelten die Behörden den Zwischenfall mit einer unangebrachten Lässigkeit ab. „Die scheinen Routine zu haben.“
„Ich weiß es nicht“, erwiderte der Kommissar. „Im Vorfeld der Karlspreisverleihung hat es so etwas noch nie gegeben. Für mich ist es jedenfalls eine Premiere.“
„Was bedeutet das für Sie?“
„Das bedeutet für mich, intensiver auf den Großherzog zu achten, als ursprünglich vorgesehen war. Das bedeutet aber zugleich, einen anderen Staatsmann weniger intensiv zu schützen. Ich habe nicht mehr Mitarbeiter und ich habe schon Mehrarbeit durch die veränderte Anreise des britischen Premiers.“ Böhnke rieb sich durchs Gesicht. „Es macht von Jahr zu Jahr weniger Spaß. Mehr Politiker und mehr Arbeit, aber nicht mehr Mitarbeiter.“ Der Kommissar stand auf und trat ans Fenster, aus dem er lange blickte.
„Kommen Sie heute Abend mit?“, fragte er mich plötzlich. „Wohin?“
„Ins Eurogress zum großen Empfang zu Ehren der bisherigen Preisträger durch den Oberbürgermeister. Dabei können Sie einmal viele Prominente hautnah erleben. Sie haben ja einen Sicherheitsausweis. Damit kommen Sie überall hinein.“
„Gerne“, antwortete ich spontan, doch schreckte ich zurück: „Gibt’s da etwa Kleidungsvorschriften?“
Böhnke lächelte nachsichtig. „Schlips und Anzug wären nicht schlecht. So, wie Sie gekleidet sind, ernten Sie nur Naserümpfen und werden als Klomann abgeschoben.“ Er hatte mich von oben bis unten gemustert und meine Jeans und Sweatshirt als nicht angemessen beurteilt.
„Dann muss ich mir jetzt noch einen Anzug besorgen?“, fragte ich vorsichtig.
„Müssen Sie nicht, aber Sie sollten es besser, Herr Grundler.“
Ich verzog kurz die Mundwinkel, dann griff ich zum Telefon und rief in der Kanzlei an. „Sabine, sag’ deinem Chef, er solle sofort seine Klamotten ausziehen und mir bringen lassen“, bat ich meine Sekretärin.
Sie nahm mich allerdings zunächst nicht ernst und musste hell auflachen, als ich ihr meine Kleidernöte schilderte. „Kein Problem“, sagte sie, „ich werde Do bitten, etwas für dich rauszulegen. Oder bist du etwa dicker geworden als Dieter?“
Ich verkniff mir eine Antwort. Sie möge die Sachen bitte in meine Wohnung schaffen, sagte ich zu Sabine, „dann sehen wir uns wenigstens heute noch einmal.“
„Worauf warten wir?“ Ich war startklar und sah Böhnke an, der in seinem Sessel hockte und unruhig mit den Fingern spielte. „Wenn Sie wollen, lasse ich Sie gerne nach Hause fahren“, bot er mir an. „Ich jedenfalls warte noch auf Informationen. Es muss doch wohl noch gelingen, den Toten aus Huppenbroich zu identifizieren.“
Ich setzte mich wieder hin. Das war wirklich ein Grund, noch zu warten und es Böhnke gleichzutun.
Das Telefon wirkte fast
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