Blut Licht
das an, was ist, und nicht das, was sein könnte. Dafür habe ich die Karten. Meine Ahnung bezog sich allerdings mehr auf deine Köpferhaltung und deinen Gesichtsausdruck. Also geh schon.“
Ergeben zuckte ich mit den Schultern, warf dem Tensor einen letzten, zweifelnden Blick zu und verließ den Salon. Mein Weg führte
mich geradewegs zur hauseigenen Kapelle.
Die schwere Tür war angelehnt und daher wertete ich das für mich als eine stillschweigende Einladung. Diese endete vor dem steinernen Altar. Ich hatte gehofft, ihn verschoben vorzufinden und die darunterliegende Treppe hinab in den unteren Bereich nutzen zu können. Doch wie es aussah, erlaubte Darian mir zwar ein Warten in der kleinen Kapelle auf einer der acht unbequemen Holzbänke, jedoch keinerlei Zutritt zu Thalion direkt, was zweifelsohne mit der Brisanz ihres Gespräches zu tun hatte - und von dem ich wieder einmal ausgeschlossen bleiben sollte.
Ich tippte mir nachdenklich gegen das Kinn. Es bestand durchaus die Möglichkeit, den Altar mittels des im Sockel eingelassenen Druckschalters und des daraufhin in Bewegung geraten Mechanismus zu verschieben. Allerdings würde das schleifende Geräusche verursachen, die Darian ob seines hervorragenden Gehörs sogleich über meinem Lauschangriff informieren würde. Falls er zuvor nicht schon meinen gedanklichen Vorsatz vernahm. Es gäbe jedoch eine zweite Möglichkeit. Nämlich das Erreichen von Thalions Versteck über den Garten. Freilich müsste ich dazu schweben können, denn sie bemerkten mit Sicherheit selbst den leisesten Schritt, vermutlich sogar meine Atmung. Oder meinen Herzschlag, der allein beim Gedanken daran eigenmächtig eine höhere Frequenz bevorzugte.
Plötzlich schnellte ich von der Bank hoch und jubilierte innerlich. Ich hatte die Lösung gefunden. Meine Federn. Jene Portalschlüssel, die mich wie eine Art Teleporter genau dorthin bringen konnten, wohin ich meine Aufmerksamkeit lenkte. Die zwei Federn, von denen ich bis heute nicht genau wusste, wer sie mir überlassen hatte, obwohl ich weiterhin eine gewisse, ältere Dame mit einem extrem bissigen Hintergrund in Verdacht hatte. Lilith.
Während ich aus der Kapelle eilte, klopfte mein Gewissen an. Es klopft bekanntlich immer dann an, wenn man es am wenigsten gebrauchen kann. Meistens ignorierte ich das Klopfen. Heute aber schien es die Mauern meiner Ignoranz mit einer Abrissbirne bearbeiten zu wollen.
Immerhin war Lauschen nicht die feine Art, und fair ebenfalls nicht. Darian hatte sicherlich seine Gründe, wenn er mich ausschloss. Vermutlich tat er es zu meinem Schutz, oder weil er mich nicht belasten wollte. Möglicherweise waren seine Beweggründe sogar ausgesprochen harmlos und ich sollte wieder einmal auf die Probe gestellt werden, ob ich auch artig und brav auf seine Rückkehr und anschließende Mitteilungsfreude warten würde. Bla, bla, bla ...
Ich rümpfte die Nase und würgte den Redeschwall meines übereifrigen Ermahners ab. Niemand musste mich schützen, und schonen schon gar nicht. Brav und artig bin ich nie gewesen und Darian kannte mich zu gut, als dass er der Hoffnung auf diesen Trugschluss erliegen würde.
Kurz darauf hatte ich das Schlafzimmer erreicht und zog die schmale Kiste unter dem Bett hervor, in der ich meine Schätze aufbewahrte. Neben der schwarzen und weißen Feder befanden sich weiterhin zwei Rosen in dem Kästchen. Eine schwarze und eine weiße. Erneut bewunderte ich ihre makellose Schönheit, und dass sie trotz der langen Zeit nicht verwelkt aussahen, sondern mehr wirkten, als seien sie eben erst geschnitten worden. Obwohl ich mich inzwischen über nichts mehr wundem sollte. Noch weniger über unerklärliche Dinge, die ständig um mich herum geschahen. Und sei es nur die Unvergänglichkeit eben jener Rosen.
Entgegen der neu aufkeimenden Überredungskunst meines Gewissens entnahm ich der Kiste die beiden Federn und konzentrierte mich auf Thalions Kellerwohnung.
„Nur sehen, nicht gehen“, murmelte ich wie eine Beschwörung vor mich hin und schloss die Augen.
Als würde ich eine schlechte Bildübertragung erhalten, sah ich zunächst etwas Nebulöses und bekam zudem das Gefühl, als berührte ich eine Wand aus klebrigem Glibber. Dann lichtete sich der Schleier und ich sah Thalions Behausung detailgetreu und scharf, wie digital remastered vor mir. Selbst Thalion war perfekt zu erkennen. Dagegen fehlte von Darian jede Spur. Noch einmal verschaffte ich mir einen Überblick, als mich ein unangenehmes
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