Blut Licht
unsinnigen und spöttischen Bemerkungen über andere, keine Selbstironie und insbesondere keine starke, verlässliche Schulter mehr, wenn Darian nicht zugegen war. Die Zukunft wirkte weniger farbenfroh und unendlich trist, bedrückend nüchtern und irgendwie ein wenig verloren, sollte Steven uns verlassen müssen. Instinktiv hatte ich seine Hand fester umklammert, als könnte ich ihn auf diese Weise am Sterben hindern. Wenn es doch nur möglich wäre.
Eine Hoffnung aber blieb. Eine winzige Spur nur, wie ein dünner Silberstreif am Horizont. Darians Rückkehr, mit dem inständigen Wunsch, er habe eine Lösung im Gepäck. Bislang war er nicht zurück. Noch konnten wir in unseren stillen Gebeten nicht enttäuscht werden, denn trotz der aussichtslosen Lage von Steven schien alles offen. Noch siegte die Illusion. Und wir hielten eisern daran fest.
Meine Zweifel schienen auf Rahid abgefärbt zu haben, denn er blieb an meiner und Stevens Seite. Zwischenzeitlich hatte er den Schirm zusammengeklappt, beiseitegelegt und tastete hin und wieder prüfend Stevens Kopf ab. Obendrein nahm er Jason mehrfach das feuchte Tuch ab, um es gegen das auf Stevens Stirn auszutauschen, obwohl wir inzwischen sehr genau wussten, wie unsinnig diese Maßnahmen waren.
Wir sprachen nicht. Wir sahen einander gelegentlich wortlos an, um dann wieder in unsere intimsten Gedankenwelten abzutauchen. Dennoch begann mich seine Motivation langsam zu interessieren. Warum half er uns? Er hatte kaum einen Grund dazu. Problemlos konnte er jederzeit fliehen, denn momentan konzentrierte sich jeder einzelne unserer Gruppe auf Steven. Warum also blieb er?
Selbst Shekinah hatte vor einer knappen halben Stunde zum Aufbruch gerufen. Warum sie mein Einverständnis erbeten hatte, den letzten, funktionsfähigen Jeep für ihre Heimfahrt zu nehmen, war mir schleierhaft. Vermutlich eine reine Formalität, die auf Höflichkeit beruhte. Natürlich hatte ich es gestattet. Ich selbst hätte auch nichts anderes gewollt, als meine Enkelin nach Hause zu bringen. Zuvor aber hatte sie ein langes Gespräch mit Kahina geführt und ihr aufgetragen, bei uns zu bleiben. Ich nahm an, Kahina hätte es ohnehin nicht anders vorgehabt. Nun hockte sie neben Alistair und spickte Rahids Rücken mit bösen Blicken.
Tja, und Letavian? Der saß derweil erbost zeternd, weiterhin in seinem Brunnen und ging uns - salopp bemerkt - am verlängerten Rückgrat vorbei.
„Wie weit reicht deine Sehkraft, Jägerin?“, fragte Rahid unvermittelt.
Ich sah ihn verdutzt an. „So weit wie die eines jeden anderen Menschen auch.“
Lächelnd schüttelte er den Kopf. „Nein, denn dann hättest du bis vor die Wände gesehen und nicht hindurch. Wie weit reicht deine Sehkraft tatsächlich?“
Ach, das meinte er damit. „Unbegrenzt, insofern ich das beurteilen kann. Warum fragst du?“
Diesmal furchte er bekümmert seine Stirn. „Ich kann Dahad nicht mehr erspüren. Aber du solltest es können.“
Alarmiert sprang ich auf, doch schon legten sich seine Finger beruhigend auf meinen Arm. „Würde uns Gefahr drohen, hätte ich es längst bemerkt. Wegen des Wetters musst du dir ebenfalls keine Gedanken machen, es ist weit von uns entfernt und wird uns nicht erreichen. Es donnert öfter oben im Gebirge. Einzig mein Kontakt zu deinem Mann ging verloren. Es scheint, als sei er auf eine mir unbekannte Weise plötzlich vor mir abgeschirmt worden. Ich kann es mir nicht erklären.“
Ich starrte perplex auf ihn herunter. „Dann hast du die ganze Zeit über mit ihm Kontakt gehabt?“
Er nickte. „Bis vor einer knappen halben Stunde. Seitdem suche ich ihn vergeblich.“
War er deswegen noch bei uns? Einer stillschweigenden Übereinkunft mit meinem Mann wegen? Fast schien dem so zu sein.
Die Schuld muss beglichen werden , durchflutete seine Stimme meine Gedanken und ich zog verärgert die Brauen zusammen.
Du lauschst!
Er lachte verhalten auf und schüttelte gleichzeitig sein Haupt. Es ist kaum möglich, deinem gedanklichen Megaphon zu entkommen.
Ein erbostes Zähneknirschen gesellte sich zu meiner Knittermimik.
Trotzdem ist es unhöflich zu lauschen.
Wie du wünschst. Er lächelte gewinnend. Dann wandte er sich wieder dem Patienten zu, nahm von Jason ein frisches Tuch entgegen und begann, mit sanfter Hand Stevens schweißnassen Körper abzuwaschen.
Wenigstens in Bezug auf das Wetter war ich beruhigt. Seine eigentlichen Beweggründe sollten mir daher egal sein. Ich sollte es dabei belassen. Ich wollte mich
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