Blut Licht
Duschkabine klappte zu und ich wusste, für einige Minuten würde er nur noch das Rauschen des Wassers vernehmen. Doch in der gleichen Geschwindigkeit, in der das Wasser auf ihn prasselte, ratterten mir die Gedanken durch den Kopf. Lilith hatte das Buch verfasst. Warum, um alles in der Welt, machte er sich dann solche Arbeit mit dem verfluchten Ding, wenn er die Quelle jederzeit selbst kontaktieren konnte? Hatte er sie denn nicht danach gefragt? Das wäre doch die simpelste aller Lösungen. Lilith könnte ihm Antworten auf jede noch so unwichtig erscheinende Frage geben. Ging es noch einfacher? Wohl kaum.
Mein Blick fiel auf das Fußende des Bettes. Ich wusste, dort lag meine Kiste mit den Rosen und den Federn. Ob ich es wagen durfte? Einmal schon hatte es funktioniert. Damals in New York, als ich dank der Federn Lilith kontaktiert hatte. Sicher, es war kein besonders freundlich aufgenommener Besuch meinerseits gewesen und sie hatte mich recht zügig wieder aus ihrem Umfeld entfernt. Ein glatter Rausschmiss träfe als Umschreibung eher den Punkt. Doch schien mir das Risiko eines weiteren Tadels angesichts unserer derzeitigen Situation durchaus gerechtfertigt zu sein.
Ich kroch bereits auf dem Boden herum, als ein dezentes Lüftchen meine Geruchssinne umnebelte. Mein Blick glitt zum Ursprung der Winde und blieb an einer vollen Windel hängen. Notgedrungen musste ich erst einmal das in Angriff nehmen. Ich stellte die Kiste auf dem Bett ab, nahm mein Kind und eilte in das angrenzende Zimmer. Routiniert entkeimte ich meine Tochter. Ich versenkte die Windel im Eimer und die Stumpfhose im Wäschesack. Dann zog ich ihr frische Kleidung an und ging zurück in das Schlafzimmer.
„Hast du etwas Bestimmtes damit vor? Etwas, wovon ich vielleicht besser wissen sollte?“ Mit nur einem Handtuch um die Hüften geschlungen, stand Darian tropfend neben dem Bett und wies auf die schmale Holzkiste.
„Allerdings“, erwiderte ich, setzte Lilianna ab und klappte den Deckel der Kiste auf. „Es ist aber gut, dass du fertig bist, dann kannst du auf unsere Tochter aufpassen. Ich werde derweil Lilith aufsuchen, um ein paar Antworten zu erhalten.“ „Die haben nicht zufällig etwas mit dem Buch zu tun?“, erkundigte er sich mit lauernder Höflichkeit.
„Du hast es erfasst“, gab ich zurück und nahm die Federn heraus. „Ich habe nämlich nicht vor, hier tatenlos herumzusitzen und darauf zu warten, dass noch jemand aus unserer Familie verletzt wird. Diese Geheimniskrämerei fällt mir allmählich so was von auf den Wecker...“
„Leg sie zurück, Faye.“
„Nein. Wenn nicht jetzt, wann dann?“
„Überhaupt nicht.“ Entschlossen nahm er mir die Federn ab, ließ sie nach einem leisen Zischen zurück in die Kiste fallen und verschloss den Deckel. Dann rieb er seine Finger aneinander, auf denen ich kurz die Spuren leichter Verbrennungen erkennen konnte. Dabei sah er mich ärgerlich an. „Ich habe Lilith bereits vor Monaten wegen des Buches befragt. Ihr Kommentar bestand aus zwei Sätzen. Sie wird nicht in unser vorbestimmtes Schicksal eingreifen, und sie wird auch keine weiteren Auskünfte darüber erteilen. Wir sind auf uns allein gestellt. Sie meint es überaus ernst. Du kannst dir demnach weitere Anfragen sparen.“
„Ich könnte es zumindest versuchen“, begehrte ich auf.
Da nahm er die Kiste vom Bett und klemmte sie sich unter den Arm. „Nein. Es wird dir nichts bringen, außer dass du es dir mit ihr verdirbst. Noch stehen wir in ihrer Gunst, doch diese ist endlich. Ich habe mehrmals erlebt, wie es ist, wenn jemand ihr Wohlwollen verliert. Es ist der weiteren Existenz wenig zuträglich, um es gelinde zu umschreiben.“
„Na toll.“ Ich stampfte erbost mit einem Fuß auf. „Erst schreibt sie den Mist, dann verweigert sie ihre Mithilfe. Ich frage mich gerade, auf welcher Seite sie steht.“
„Auf ihrer eigenen“, entgegnete er milder gestimmt, stellte die Kiste wieder ab und legte seine Hand unter mein Kinn. Sein Daumen strich zärtlich über meine Haut, als er hinzufügte: „Lilith hat dieses Buch vor Tausenden von Jahren niedergeschrieben. Weit vor der Zeit, in der ich verwandelt wurde. Sie hat in der langen Zeit ihrer Existenz sehr viel gelernt und sich noch mehr verändert. Wenn ich früher einmal gedacht habe, ich würde sie kennen, so muss ich heute einsehen, dass ich nur sehr wenig von ihr weiß. Ebenso wenig verstehe ich ihre Beweggründe für gewisse Handlungen. Aber ich habe gelernt, sie nicht zu
Weitere Kostenlose Bücher