Blut muss fließen
über eine strukturierte Zusammenarbeit zwischen Rechtsextremisten und Rockern in Niedersachsen vor. Es ist jedoch bekannt, dass es Kontakte zwischen Rechtsextremisten und Mitgliedern von Rockerklubs wie den ›Red Devils‹ gegeben hat. In Einzelfällen haben sich Kameradschaftsangehörige aus der rechtsextremistischen Szene gelöst und sind in Rockerklubs eingetreten. […] Wie bereits dargestellt, ist bekannt, dass lediglich in Einzelfällen Mitglieder der Red Devils der rechtsextremistischen Szene zuzurechnen sind.«
Es gibt also zwei Arten von Einzelfällen bei den Rockern: jene, die sich von der rechtsextremistischen Szene gelöst haben, und jene, die der rechtsextremistischen Szene noch angehören. Ob sich in Niedersachsen wohl alle Gruppierungen, Kameradschaften und Bruderschaften aus Einzelfällen zusammensetzen?
Es muss demnach einer dieser Einzelfälle gewesen sein, der mich beim »Run to Hannover«, einer Party der dortigen Red Devils, am 28. Mai 2011 ansprach, weil er mich für einen »Kameraden« hielt. Seine Lederkutte wies ihn als Prospect (Anwärter) der Red Devils | 255 | Stadthagen aus. Er wollte wissen, ob ich meine Klamotten »bei Silar« gekauft hätte. Ich bejahte. Tatsächlich hatte ich meine Mütze ein paar Stunden vorher bei Stefan Silar gekauft, in dessen Geschäft Streetwear Tostedt. »Das ist ein guter Kumpel von mir«, sagte der Nachwuchsrocker. Dann deutete er voller Stolz auf seine Clubkutte: »Ich bin jetzt da … – erst angefangen.« Ich fragte, ob er einen langen Weg vor sich habe, bis er Full-Member werde. »Ja, mehr oder weniger«, meinte er. Wie lange das geht? »Hänger ist man drei Monate, Prospect ein Jahr. Wenn du gut bist, wenn du dich gut angestellt hast, dann wirst du Mentor irgendwann.«
Der junge Mann begann in seinen Erinnerungen zu schwelgen. Er erzählte von einem Bauern, bei dem er früher oft zu politischen Sonnwendfeiern gewesen sei: »Da darf ich ja auch nicht mehr so offiziell hin.« Ich wollte wissen, ob das bei den Red Devils verboten sei. Seine Antwort: »Wir dürfen uns keiner politischen Richtung irgendwo zuordnen lassen.« Als ich mich verwundert äußerte, erläuterte er: »Ja, ich meine, 60 Prozent von denen sind sowieso der gleichen Meinung … Aber wir dürfen’s nicht offen sagen.« Ich bedauerte ihn. Seine Reaktion: »Ich mein’, was bringt einem das auf Dauer, auf Demos zu gehen?« Er habe seinerzeit »Spaß am Kloppen« gehabt. Steine und Flaschen seien geflogen und Lieder gesungen worden. »Anzeige über Anzeige« habe es gehagelt. Und immer, wenn ihn der Staatsschutz zu sich beordert habe, sei es »ein Stückchen schlimmer« geworden.
Plötzlich bekam der Rote Teufel Nasenbluten. Ich gab ihm ein Tempo, und er nannte mir die Ursache, einen früheren Nasenbeinbruch. Er habe damals einem andern mit einer Eisenstange eins über den Schädel gezogen, doch dann seien dessen Kumpels gekommen – Hooligans aus Hamburg: »Die haben mich dann richtig bearbeitet.«
Dieser Rocker fühlte sich, obwohl schätzungsweise erst um die 25 Lenze, als Oldschool-Nazi. »Gigi und Luni kenn’ ich auch noch«, prahlte er. Über den ehemaligen »Landser«-Sänger »Lunikoff« Regener und den »Stahlgewitter«-Frontmann »Gigi« Giese, zwei der größten deutschen Rechtsrockstars, sagte der junge Szeneveteran: »Das sind ganz duftige Typen. Die haben wirklich Terror.« Mit Luni sei er zwar »nicht nahe bekannt, aber den Sänger von ›Stahlgewit | 256 | ter‹, den kenn’ ich besser«. Woher? »Der kommt aus Meppen, ist hier oben um die Ecke.« »Stahlgewitter« sei auch an Bandprojekten beteiligt, wusste er, zum Beispiel an »In Tyrannos«, die politischen Metal spielen. Mit Hatecore, der stilistisch dem Hardcore verwandt ist, schien der Teufel im Anwärterjahr hingegen nicht so viel anfangen zu können. Bezüglich der jungen Nazis, die das bevorzugt hören und sich von der Skinhead-Kultur abgrenzen, meinte er: »Ja, neue Generation, ne. Läuft unauffälliger rum.«
Um Hannover herum schossen die Charter der Red Devils im ersten Jahr meiner Rockerrecherche wie Pilze aus dem Boden. Dreizehn Neugründungen in Niedersachsen registrierte die Landespolizei 2009, so dass insgesamt 18 Charter der Hells-Angels-Supporter existierten. Das Innenministerium informierte am 18. März 2010 den Landtag: »Dem Landeskriminalamt Niedersachsen liegen Hinweise darüber vor, dass die Expansion des Red Devils MC auf Betreiben des Hells Angels MC Hannover erfolgt ist, der
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