Blut muss fließen
»Noie Werte«. Der Refrain kann auch von einem internationalen Publikum wie bei den großen Gigs in Italien und Frankreich mitgesungen werden: »Fuck the USA, fuck the USA – fuck, fuck the USA.« Wer das antiimperialistische Friedenslied hört, vermutet vielleicht eine Punkband, aber keinesfalls eine Neonazi-Gruppe als Urheber:
»Bomben auf Bagdad, ein schönes Weihnachtsspiel.
›Friedenserhaltung‹ nennt sich dieses Ziel.
Wo sind die Menschrechtler und wo die Heuchlertrupps,
der Christ in diesen Tagen …: Hallelujah auf den Bombenhagel!
Ich seh’ die Bomben fallen, ich hör’ die Kinder schrein,
ich seh’ die Welt am Ende und alle sind dabei. | 65 |
Sie nennen sich Weltpolizei.
Es kotzt mich an, ich mach mich frei: Fuck the USA!«
In einem Interview stellte die Gruppe fest:
»Kaum vorstellbar, dass ein Lied wie
Fuck the USA
Anfang der 90er Jahre mit Bezug auf den Irak so angenommen und verstanden worden wäre wie heute. Wurde früher eher immer in den Ausländern oder etwas intellektueller in den Kommunisten das eigentliche Übel erkannt, sind weite Teile heute viel näher an den tatsächlichen Ursachen dran und setzen sich nicht nur mit regionalen Erscheinungen auseinander, sondern erfassen zunehmend weltweite Zusammenhänge.«
»Noie Werte« trug zu dieser Horizonterweiterung bei. Zum 20-jährigen Bestehen der Band gab es ein Antiglobalisierungslied auf die Ohren:
»Sitzt auch du zuhause und dein Job ist weg?
Eben mal abserviert wie der letzte Dreck.
Man braucht dich nicht, gibt dir einen Tritt.
Wegrationalisiert für noch mehr Profit.
Dein Arbeitsplatz in einem anderen Land
Und du stehst auf der Straße, aus dem Leben verbannt.
Es stellt sich die Frage, was wird morgen sein?
Doch mein Freund hör gut zu: Du bist nicht allein!
Nun ist es Zeit für dich zu protestieren.
Sonst bleibt es dabei, du wirst immer verlieren.
Denke selber nach, wer Schuld daran ist.
Einen gerechten Kapitalismus, den gibt es nicht.
So wie dir geht es Tausenden in dieser Zeit.
Und der Ruf nach Revolte, der macht sich breit
Und es hallt durch die Gassen an jedem Ort:
Wir stehen im Antiglobalisierungskampf
Und er fordert von dir deinen Widerstand.«
Damit traf »Noie Werte« wohl nicht nur in Italien den richtigen Ton, das heißt: die Stimmung vieler jungen Menschen. Mit ihrer Globalisierungskritik ist »Noie Werte« viel näher bei den Jugendlichen als | 66 | die Bundestagsmehrheit mit ihrer arbeitgeberorientierten Politik. Das ist kein Verdienst der totalitär denkenden Skinheads, sondern dem Versagen der demokratischen Parteien geschuldet. Die Demokratie wird federführend von Parteien repräsentiert, die kaum mehr im Sinne der Bevölkerungsmehrheit handeln, sondern schwerpunktmäßig zugunsten ihrer Klientel. Von einem immer menschenfeindlicheren Kapitalismus profitieren nicht nur die Kapitalisten, sondern auch Neonazis. Während sie mit ihrer traditionellen Rassenideologie nur bedingt bürgerliches Interesse wecken können, gelingt ihnen das in größerem Stile, wenn sie Missstände anprangern, unter denen viele Menschen leiden. »Noie Werte« verkündete 2007: »Die Band ist das Sprachrohr derer, die keine Lobby mehr in Deutschland haben.«
Nationalisten fürchten im Zeitalter der Globalisierung nicht nur Ausländer, die schon in Deutschland leben, sondern auch jene Ausländer, die noch einreisen könnten:
»Eine unheilvolle Allianz aus Wirtschaft, Politik und Medien ist sich einig, dass dem demographischen Wandel und dem angeblichen Fachkräftemangel nur durch Zuwanderung begegnet werden kann. So finden linke Politiker und Gewerkschafter diese Gedanken per se schon attraktiv, Politiker aus Union und FDP ziehen nach und fühlen sich den Vorgaben ihrer Klientel aus Industrie und Kapital verpflichtet – ganz im Sinne der Globalisierung -, die letzten Reste des Schutzes deutscher Arbeitsplätze aufzugeben. […] Aber weitere Zuwanderung wäre ein direkter Angriff auf die Löhne und Gehälter in Deutschland und würde dem Abwärtstrend der Lohnentwicklung weiteren Vorschub leisten.«
Das steht nicht in einem »Noie Werte«-Interview, sondern in einer Ausgabe des Kompass, der Flugblattserie der Betriebsratsliste Zentrum Automobil bei Daimler. Eine von zwei Kontaktpersonen: Oliver Hilburger.
Als Betriebsrat der Christlichen Gewerkschaft Metall (CGM) war er unter Druck geraten, als seine Mitgliedschaft bei »Noie Werte« bekannt geworden war. Die IG-Metall-Zeitung Scheibenwischer hatte ihn im Mai 2007 enttarnt: »Auf
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