Blut muss fließen
Rockabilly-Szene politisch zu infizieren – ein Vorläufer der Identitätsrock-Bewegung, die keinen Hitlerkult betreibt, sondern nationalistische und völkische Botschaften in die Gesellschaft hineintragen will. Als deutscher Ableger fungierte die Initiative Identität durch Musik, deren Aktivposten aus dem Raum Esslingen kamen.
Und auch die Rocker hatte Ian Stuart im Blick, deren Bruderschaften ähnlich wie die Kameradschaften der Nazis funktionieren. Bereits »Skrewdriver« spielte in einem Club der Hells Angels, wie Stuart-Biograf Paul London schreibt. »White Diamond«, ein weiteres Bandprojekt, sollte diese Kontakte intensivieren. »Durch ›Klansmen‹ haben wir einige Rockabillies auf die ›Blood & Honour‹-Bewegung aufmerksam gemacht, was eine gute Sache ist«, sagte Ian Stuart laut London. »Hoffentlich wird White Diamond‹ die gleiche Wirkung bei den Bikern erzielen. Grundsätzlich wollen wir uns an alle wenden, nicht nur an die Skinheads!« | 108 |
Kapitel 6
DIE NAZIONALDEMOKRATEN
»Wir lieben unser Land, aber wir hassen diesen Staat.«
Rechtsrockstar Michael »Lunikoff« Regener, der ehemalige Frontmann von »Landser«, bei einem NPD-Konzert in Gera | 109 | | 110 |
»Frühlingsgefühle« am 31. Januar, im Jahr 2004. »Man müsste mal ausschlagen können, vor allem mit den rechten Gliedmaßen«, scherzt der braune Barde Frank Rennicke bei einem NPD-Liederabend im bayerischen Senden. Einen Hitlergruß riskiert hier aber keiner. Das Konzert ist öffentlich. Polizisten sind in der Halle, einer stadteigenen Halle. Die NPD darf sie so selbstverständlich nutzen wie die CSU.
Parteimitglied Rennicke gibt sich weltoffen und kündigt ein Lied an, das »sogar einem Ausländer gewidmet ist«, einem Österreicher: »Hoch soll er leben, hoch soll er leben, dreimal hoch.« Und weiter: »Jedes Jahr zu gleichen Zeit, wenn im Frühling die Blüte treibt, feier’ ich, wenn man mich noch lässt, jenes Adolfs Wiegenfest. Er war ne echte Persönlichkeit. Wir bräuchten ihn heut in dieser Zeit. Drum sag ich’s mir und anderen dann: ein Hoch auf Adi, den Ehrenmann.« Auch im weiteren Verlauf klingt das Stück nach einem Geburtstagsständchen für den einstigen Führer. »Immer wieder zum 20. April. Ob man sich freut oder ich es nur will, erinnern sich viele Leut’ in diesem Land an die glücklichen Jahre seiner glücklichen Hand. Er hat auf sein Volk geachtet und die Spitzbubis nur verachtet.«
Spitzbubis? Den Begriff »Spitz-Bubis« verwenden Nazis gerne als Wortspiel, um den ehemaligen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland zu verunglimpfen: Ignatz Bubis. »Volkssänger« Rennicke versichert, dass das Lied nicht indiziert, also nicht als jugendgefährdend eingestuft sei. Das Publikum ist begeistert und amüsiert zugleich. Es wird kräftig mitgesungen und mitgeklatscht. Für mehr Euphorie lassen die Sitzgarnituren keinen Bewegungsspielraum.
Die Überraschung von »Adis Ehrentag« wartet in der letzten Textzeile: »Er war immer redlich und legal, für uns ein Vorbild al | 111 | lemal, und ein Patriot mit feinem Nerv – das war ein Mann, der Dr. Adolf Schärf.« Der war, als SPÖ-Politiker, unter anderem österreichischer Bundespräsident und wurde – wie Hitler – an einem 20. April geboren.
Frank Rennicke wollte nicht nur auf »Adi, das Geburtstagskind« trinken, wie er sang, sondern auch in dessen Fußstapfen treten und Bundespräsident werden. In Deutschland natürlich. Auf Vorschlag der NPD kandidierte er bei den Wahlen der Jahre 2009 und 2010. Er bekam beim ersten Versuch vier Stimmen in der Bundesversammlung, beim zweiten noch eine weniger – jeweils die Stimmen der NPD-Vertreter.
Wenn Rennicke seine Stimme in nazionalistischen Kreisen erhebt, spricht er verschiedene Bevölkerungsschichten an. Bei seinem Konzert in Senden waren verschiedene Altersklassen vertreten – vom Jugendlichen bis hin zur über 90-jährigen Rentnerin, die Rennicke aufgrund ihrer Flugblattaktionen als »Vorbild für die deutsche Jugend« pries. Er wusste Enkel- und Großelterngeneration hinter sich, als er sein Lied gegen die damals viel diskutierte Wehrmachtsausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung anstimmte: »Sie stritten für Deutschland, sie ritten für Deutschland, starben einsam in der Schlacht«, diese angeblichen Helden, »und haben’s nicht verdient, dass man sie zu Verbrechern macht.« Die Ausstellungsmacher hatten gezeigt, dass nicht nur die Waffen-SS, sondern auch die
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