Blut muss fließen
den Kampf um unserer Rasse.« Und er stellte fest, dass »der Untermensch, der Parasit, in dieser Welt herrscht«. Anschließend machte er sich lustig über den Kokainkonsum von Michel Friedman, dem ehemaligen Vize des Zentralrats der Juden in Deutschland. Im Stile eines bekannten Weihnachtsliedes trällerte er: »Leise rieselt der Schnee. Nicht viel harmloser als Zyklon B. An Kollektivschuld glauben wir nie, sie entspringt seiner Koks-Fantasie.«
Vom Aussehen her bewertet, war ein Querschnitt der örtlichen Jugend in der Stadthalle vertreten. Und die hörte bei dieser Gelegenheit nicht nur Propagandamusik, sondern auch Udo Voigt. Er forderte »die sofortige Ausgliederung der bei uns beschäftigten Ausländer aus dem deutschen Sozial- und Rentenversicherungssystem« und ihre Ausweisung, »wenn sie drei Monate in Deutschland ohne Arbeit sind«. Er fragte das Publikum: »Habt ihr nen Ausländer nach Deutschland geholt?« Die Menge brüllte: »Nein!«
Hier mittendrin zu sitzen, die »Bravo«-Rufe ringsherum zu hören, den Tischnachbarn nicht ausweichen zu können, ihren Ausländer | 116 | hass zu erleben, nach fremdenfeindlichen Aussagen begeistert mitklatschen zu müssen, um nicht aufzufallen – all das war unerträglich. »Was hier in Deutschland abgezogen wird, ist die planmäßige Vernichtung des deutschen Volkes«, polterte Udo Voigt. Ohrenbetäubender Beifall. Mit Bezug auf das Berliner Mahnmal, das an den millionenfachen Massenmord der Nazis erinnert, sagte er: »Und für uns ist das kein Holocaust-Gedenkmal, sondern wir bedanken uns dafür, dass man uns dort jetzt schon die Fundamente der neuen deutschen Reichskanzlei geschaffen hat.« Wieder ohrenbetäubender Beifall.
Während der Voigt-Rede wurde mir buchstäblich schlecht. Wohl eine psychosomatische Reaktion auf die Stimmung im Saal. Vielleicht war es der äußerliche Anschein von Normalität, den viele Besucher erweckten, der mich besonders schaudern ließ. Diese Veranstaltung machte mir jedenfalls, warum auch immer, gefühlsmäßig mehr zu schaffen, als wenn Skinheads bei einem konspirativen Nazi-Konzert ihre blutrünstigen Lieder grölen. Und dann musste ich auch noch mit den »Kameraden« aufstehen, als der örtliche NPD-Führer Winkler eine Rufminute ansagte und alle mitbrüllten: »Frei, sozial und national!« Und: »Hoch, die nationale Solidarität!« Dann: »Ruhm und Ehre der Deutschen Wehrmacht!« Sowie: »Wir sind da – der nationale Widerstand!« Und: »Wir sind das Volk!« Und noch einmal: »Frei, sozial und national!«
Kurze Zeit später erinnerte NPD-Chef Voigt daran, »dass es in Deutschland schon mal eine Zeit gab, wo es sechs Millionen Arbeitslose gab, sechs Millionen Menschen ohne Hoffnung – und dass es damals, im Jahr 1933, nach der Amtsübernahme der NSDAP, der sogenannten Nazis, wie dieses politische System sagt, gerade mal zwei Jahre dauerte, dann gab es in Deutschland keine Arbeitslosen mehr«. Davor hätten die Vertreter des heutigen Systems »Angst«. Deshalb hätten sie die NPD mit einem Verbot loswerden wollen. »Das ist nicht gelungen.« Voigt: »Die Wahl der NPD ist die Höchststrafe für die etablierten Parteien. Wenn diese Partei jetzt Erfolg hat, nachdem das Verbot nicht geklappt hat, dann kriegen die das nötige Fracksausen.«
Die bayerischen NPD-Aktivisten bemühten sich nach Kräften. Der Wunsch des Parteivorsitzenden Voigt (»Ich wünsche Kamerad | 117 | Winkler, dass er bald mit einer NPD-Fraktion in den Stadtrat einzieht«) ging allerdings nicht in Erfüllung. Sendener Bürger, Stadträte und überregional aktive Antifaschisten machten gegen die NPD mobil und setzten die Stadtverwaltung unter Druck, damit sie nicht weiterhin städtische Säle an die NPD vermietet. Dazu hat auch ein Beitrag des ARD-Magazins Report Mainz beigetragen, in dem Videomaterial von mir ausgestrahlt wurde. Es zeigte zum Beispiel das Werbematerial der verbotenen Fränkischen Aktionsfront, das im Januar auf einem Broschürentisch der NPD ausgelegen hatte. Dem Landesverband der NPD gelang es jedoch, eine flächendeckende Parteistruktur aufzubauen: Im Jahr 2006 hatte die bayerische NPD 36 Kreisverbände vorzuweisen.
Ihren ersten Wahltriumph in der Ära Voigt feierte die Partei hingegen in »Mitteldeutschland«: Am 19. September 2004 zog sie mit einem Stimmenanteil von 9,2 Prozent in den sächsischen Landtag ein. Für die Neonazi-Bewegung begann damit eine neue Epoche: Die NPD und die vormals parteikritisch geprägte Kameradschaftsszene
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