Blut muss fließen
Hitler-Geburtstags, trotzdem als Erfolg dargestellt: »Die öffentliche Aufstachelung zu Gewalt und Hass oder das Leugnen oder Verharmlosen von Völkermord aus rassistischen oder fremdenfeindlichen Motiven wird europaweit sanktioniert.« Nun gelte es, »die beschlossenen Regelungen rasch in nationales Recht umzusetzen und konsequent anzuwenden«, so ihre Pressestelle.
Rasch gelang das nicht wirklich. Der eigentliche Rahmenbeschluss ist am 6. Dezember 2008 in Kraft getreten. Einer der Kernpunkte: »Rassistische oder fremdenfeindliche Handlungen sollen in allen Mitgliedstaaten Straftaten darstellen und als solche mit wirksamen, angemessenen und abschreckenden Freiheitsstrafen im Höchstmaß von mindestens zwischen einem und drei Jahren bedroht sein.«
Die Mitgliedstaaten hatten Zeit bis zum 28. November 2010, um die Regelungen in nationales Recht zu verwandeln. Demnach müsste es seither überall in der Europäischen Union strafbar sein, zu Gewalt oder Hass gegen Menschen einer bestimmten Rasse, Hautfarbe, | 183 | Abstammung, Religion oder Weltanschauung aufzustacheln – vorausgesetzt, das geschieht »in rassistischer oder fremdenfeindlicher Absicht«. Was soll das denn? Kann jemand in nichtrassistischer Absicht zu Gewalt gegen Menschen mit dunkler Hautfarbe aufstacheln? Die Strafbarkeit der Delikte ist daran geknüpft, dass die Tatbestände faktisch und obendrein beabsichtigterweise erfüllt sind. Das erweckt den Eindruck, als hätten die Staaten Handlungsspielraum, um für Rassisten juristische Hintertürchen offen zu lassen.
Eine europaweit wahrnehmbare Wirkung dieses Rahmenbeschlusses ist bisher ausgeblieben und aufgrund der abstrakten Tatbestände auch künftig nicht zu erwarten. Neonazistische EU-Skins zelebrieren ihre Hasskultur weiterhin hemmungslos und vielerorts fast ungestört. | 184 |
Kapitel 9
DÉJÀ-VU- ERLEBNISSE
»Wir erhalten von unseren Zuschauern täglich sehr viele Themenvorschläge. […] Wir bitten Sie um Verständnis, dass wir das von Ihnen vorgeschlagene Thema leider nicht realisieren können.«
Antwort der Chefin vom Dienst eines ARD-Politmagazins auf mein Angebot, erstmals bei einem konspirativenNeonazi-Konzert heimlich zu drehen | 185 | | 186 |
Videomaterial von »Gigi«? Das wollten am 16. November 2011 viele, wahrscheinlich sogar alle politischen Fernsehredaktionen in Deutschland. Denn tags zuvor war der Song Döner-Killer bekannt geworden, in dem – so der Verdacht – die Morde des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) besungen werden. Von der Rechtsrockformation »Gigi und die Braunen Stadtmusikanten«.
Plötzlich schien die Neonazi-Musik als Thema »Konjunktur« zu haben, wie ich es in rund 15 Recherchejahren nicht erlebt hatte. Singende Hassprediger a la Daniel »Gigi« Giese hatte ich zwar schon oft mit versteckter Kamera gefilmt, das Interesse an dem Material hielt sich allerdings in Grenzen. Ausgerechnet an den MDR, in dessen Gebiet 41 meiner rund 90 Neonazi-Drehs fielen, konnte ich bis zum Redaktionsschluss dieses Buches keine Sekunde verkaufen. MDR- Redakteure äußerten zwar immer wieder Interesse, dann hatten sie aber kein ausreichendes Finanzbudget, keinen Platz in ihren Magazinen und teilweise nicht einmal Zeit für eine Absage.
Im Fall von Gigi gab es kein Video. Am 20. Juni 2009, als ich ihn beim European Hammerfest drehen wollte, hatte ich kein Geld – weil keine Redaktion an meinen vorangegangenen Recherchen interessiert war. Zwei Wochen vorher hatte ich beispielsweise, wie bereits geschildert, das Neonazi-Black-Metal-Konzert in Zeitz (Sachsen-Anhalt) gedreht, dessen Verbot durch das städtische Ordnungsamt vom Verwaltungsgericht aufgehoben worden war. Einem Politmagazin nach dem anderen habe ich die dort dokumentierten Straftaten angeboten. Vergeblich. Wie ich es mit einer Vielzahl anderer Themenvorschläge schon erlebt hatte.
Welche Redaktionen abgelehnt haben? Aufgrund meiner Erfahrungen in den vergangenen Jahren komme ich zu dem Ergebnis, dass es sich nicht um das Problem einzelner Redaktionen handelt, | 187 | sondern um ein allgemeines Problem, um die journalistische Kultur in den öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten. Sie beziehen die sogenannten Rundfunkgebühren in Milliardenhöhe und haben dafür einen Informationsauftrag zu erfüllen. Und das erfordert es, dass sie ausreichend Geld in investigative Recherchen investieren. Das tun sie allerdings nur noch eingeschränkt, was nicht nur manche Zuschauer und freie Journalisten wie mich,
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