Blut - Skeleton Crew
schlimmer Fuß; sein Gehirn war ein verängstigter Gefangener in seinem Körper – eine Geisel in einem Turm.
Sie IST eine Hexe, sie ist eine Hexe, und sie hat einen ihrer »schlimmen Anfälle«, o ja, sie hext, es ist schlimm, es ist WIRKLICH schlimm, o Gott, o Jesus hilf mir hilf mir hilf mir …
George durchquerte Küche und Flur und ging in Omis Zimmer, und ja, sie hatte nicht nur versucht, aus dem Bett zu steigen, sie war aus dem Bett gestiegen, sie saß in dem weißen Vinylsessel, wo sie seit vier Jahren nicht mehr gesessen hatte, seit sie zu schwer zum Gehen geworden war, und so senil, dass sie nicht mehr wusste, wo sie war.
Aber jetzt sah Omi nicht senil aus.
Ihr Gesicht war schlaff und teigig, aber die Senilität war daraus verschwunden – wenn sie überhaupt je da gewesen war, und nicht nur eine Maske, die sie aufgesetzt hatte, um kleinen Jungen und erschöpfte Frauen ohne Ehemänner einzulullen. Jetzt strahlte Omis Gesicht eine grimmige Intelligenz aus – es glänzte wie eine alte stinkende Wachskerze. Ihre Augen lagen tief eingesunken, glanzlos und tot im Gesicht. Ihre Brust bewegte sich nicht. Ihr Nachthemd war hochgerutscht und enthüllte elefantenartige Schenkel. Die Decke ihres Sterbebetts war zurückgeschlagen.
Omi streckte die fetten Arme nach ihm aus.
»Ich möchte dich umarmen, Georgie«, sagte diese tonlose, summende Totenstimme. »Sei kein ängstlicher kleiner Schreihals. Lass dich von deiner Omi umarmen.«
George zuckte zurück und versuchte verzweifelt, dieser fast unwiderstehlichen Anziehungskraft zu trotzen. Draußen heulte und kreischte der Wind. Georges Gesicht war lang und vom Ausmaß seiner Angst verzerrt, das Gesicht eines Holzschnitts in einem uralten Buch.
George begann auf sie zuzugehen. Er konnte nicht anders. Schritt für Schritt auf die ausgestreckten Arme zu. Er würde Buddy beweisen, dass er keine Angst vor Omi hatte. Er würde zu Omi gehen und sich umarmen lassen, weil er kein Schreihals und Angsthase war. Er würde jetzt gleich zu Omi gehen.
Er war schon fast im Kreis ihrer Arme, als das Fenster zu seiner Linken klirrend zerbrach und ein vom Wind abgebrochener Ast, der sein Laubwerk noch nicht verloren hatte, bei ihnen im Zimmer landete. Ein heftiger Windstoß fegte durchs Zimmer, blähte Omis Nachthemd auf und zerzauste ihre Haare.
Jetzt konnte George schreien. Er stolperte rückwärts aus ihrem Griff, und Omi stieß ein wütendes Zischen aus und fletschte die Lippen, sodass ihr altes Zahnfleisch entblößt wurde; ihre dicken, faltigen Hände klatschten in der Luft zusammen.
George stolperte über die eigenen Füße und fiel hin. Omi erhob sich langsam aus dem weißen Vinylsessel, ein schwabbeliger Fleischberg; sie watschelte auf ihn zu. Georgie stellte fest, dass er nicht aufstehen konnte; seine Beine versagten ihm den Dienst. Er kroch wimmernd rückwärts. Omi kam langsam aber unaufhaltsam näher, tot und doch lebendig, und plötzlich begriff George, was es mit der Umarmung auf sich haben würde; das Puzzle in seinem Gehirn war vollständig, und irgendwie kam er wieder auf die Beine, als Omis Hand ihn gerade am Hemd packte. Es zerriss an der Seite, und einen Moment spürte er ihr kaltes Fleisch auf der Haut, bevor er wieder in die Küche fliehen konnte.
Er würde in die Nacht fliehen. Alles war besser, als sich von seiner Omi, der Hexe, umarmen zu lassen. Denn wenn seine Mutter nach Hause kam, würde Omi zwar tot und George lebendig sein, o ja … aber George würde auf einmal eine Leidenschaft für Kräutertee entwickelt haben.
Er blickte über die Schulter zurück und sah Omis grotesken, unförmigen Schatten an der Wand, während sie durch den Flur stolperte.
Und in diesem Moment klingelte das Telefon, schrill und durchdringend.
George nahm ohne nachzudenken ab und schrie hinein; er schrie, jemand solle kommen, bitte kommen. Er schrie es stumm; kein Laut drang aus seiner zugeschnürten Kehle.
Omi trottete in ihrem rosa Nachthemd in die Küche. Ihr weißgelbes Haar wehte ihr wild ums Gesicht, und einer ihrer Hornkämme baumelte schief vor ihrem faltigen Hals.
Omi grinste.
»Ruth?« Es war Tante Flos Stimme, die im flüsternden Windkanal des schlechten Ferngesprächs kaum zu hören war. »Ruth, bist du es?« Es war Tante Flo in Minnesota, über zweitausend Meilen entfernt.
»Hilf mir!«, schrie George ins Telefon, aber heraus kam nur ein zischendes Pfeifen, als hätte er in eine Mundharmonika mit kaputten Rippen geblasen.
Omi wankte mit
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