Blut und Harz
auf. Er kniff die Augen zusammen und las die grünen Digitalziffern auf dem Küchenradio. 14:34 Uhr.
Höchstwahrscheinlich der bestellte Krimi »Damaststahl« von Amazon. Er würde zwar in Anbetracht des verpatzten Auftrages die nächsten Tage nicht zum Lesen kommen, aber Bücher waren geduldig. Er fragte sich nur, warum Hermes immer zur Teezeit lieferte? Konnten die Damen mit dem blauen Flügel nicht vormittags kommen? Brummig kippte er die gelben in das dampfende Teewasser hinein. »Augenblick bitte!« schrie er Richtung Wohnungstür. Die netten Zustellerinnen warteten ja in der Regel nicht länger als dreißig Sekunden. Saß man gerade am Scheißen, hatte man nicht die geringste Chance, außer man wollte mit verkacktem Hintern an der Haustüre stehen. Hastig wischte er sich die Hände an einem rot weiß karierten Küchentuch ab, dann eilte er mit großen Schritten zur Tür.
Vor ihm stand aber keine gelangweilt schauende Frau mit einem braunen Kartonpäckchen, sondern ein Mann, vielleicht Ende fünfzig. Er war groß, muskulös. Arbeitete mit Sicherheit körperlich hart. Der Schatten von buschigen Augenbrauen tauchte seine dunklen Augen in schwammigen Halbschatten. Er trug ein dunkelbraunes Mönchsgewand und schwarze, gut verarbeitete Lederschuhe.
Irritiert musterte Alexander sein Gegenüber.
»Wenn Sie sammeln wollen, dann machen Sie das bitte wo anders«, knurrte er. »Geld bekommen Sie von mir nicht. Keinen Cent. Einen schönen Tag noch.« Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Irgendein Zeugen Jehovas Verschnitt. Er wollte dem Mönch die Türe wieder vor der Nase zuknallen, doch der Mann schob seinen Fuß blitzartig zwischen Tür und Rahmen.
»Einen Augenblick, Herr Kowalski. Ich will kein Geld von Ihnen, sondern ich glaube, sie wollen noch Geld von mir. Hatten wir nicht vereinbart, die Hälfte Vorkasse, die andere Hälfte nach Erledigung Ihres Auftrages? Waren so nicht Ihre Forderungen gewesen?«
Alexanders Alarmglocken bimmelten durchdringend. Die warme Stimme des Mannes war unverkennbar. Er hätte sie sofort wieder erkannt. Der Mann war kein Geringerer, als sein letzter Auftraggeber. Reflexartig griff er an seine Seite, wo normalerweise bei einem Auftrag eine seiner SIGs hing. Seine Hand glitt ins Leere.
Der Mönch schüttelte nur seufzend den Kopf. »Sie brauchen keine Angst zu haben, dass ich Ihnen etwas antue. Im Gegenteil. Sie sollen ihren Auftrag erfüllen und zwar bald. Deswegen bin ich hier. Darf ich reinkommen? Zwischen Tür und Angel verhandelt es sich nicht so gut.«
Alexander starrte den Mann überrumpelt an. In seiner ganzen Laufbahn hatte er schon viel erlebt, aber nie eine solche Gelassenheit gesehen. Alexander war ein Profikiller und der Mann wusste das!
»Woher kennen Sie meine Adresse?« presste er stockend hervor. Dass der Mann seine private Handynummer herausgefunden hatte war schon ein Ding der Unmöglichkeit gewesen. Ihn interessierte es immer noch brennend, wie der Mönch es überhaupt geschafft hatte. Aber eine Handynummer ließ er sich noch eingehen. Irgendwelche Technikfreaks konnten mit Sicherheit einiges herausfinden, aber den Raben mit dieser Anschrift in Verbindung zu bringen, grenzte an ein Wunder. Dazu noch seinen Namen! Seinen persönlichen Namen! Auf dem Briefkasten stand nicht Kowalski. Dort stand Alexander Komarow. Einer seiner Decknamen, den es zum einen häufig gab und dessen Bedeutung – Die Stechfliege – im auch ganz gut gefiel. Was anderes war er nämlich nicht. Er war eine todbringende Stechmücke und er saugte Blut.
Ein lässiges Grinsen verwandelte die Gesichtszüge des Mönchs in ein gütiges Mondgesicht mit tausend Lachfältchen, das sich jedes Kind als Großvater nur wünschen würde. »Ich sagte Ihnen bereits, dass ich überall meine Augen und Ohren habe. Lassen Sie mich nun endlich rein?«
Kowalski trat zögernd einen Schritt nach hinten, doch dann öffnete er die Haustüre vollständig. Was blieb ihm auch anderes übrig? Der Mann würde sich sicher nicht mehr abwimmeln lassen. Nicht dieser Mann! Ihn umgab eine Aura von Entschiedenheit.
Schweigend führte Alexander seinen Gast in die Essküche. Mit einer knappen Handbewegung bot er dem Mönch einen Platz am Esstisch an. »Möchten Sie einen Ingwertee? Frisch gekocht«, fragte er trocken.
»Warum nicht«, erwiderte der Alte. »Eine kleine Tasse vielleicht? Ich habe nicht allzu lange Zeit. Wichtige Geschäfte erfordern meine Anwesenheit.«
Kowalski nickte verstehend, während er das heiße
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