Blut und Harz
Steine. Mit den Handballen konnte sie gerade noch einen gefährlichen Sturz verhindern.
»Ich bevorzuge braunen Zucker in meinem Espresso. Der Geschmack wird dadurch vollmundiger«, hörte sie Erik dumpf aus dem Inneren.
Sofort rappelte sich Natalja hoch, doch als sie auf allen vieren im Schotter kniete, war der Schalldämpfer wieder da, berührte hart ihren Hinterkopf. Sie erstarrte.
»Eine Bewegung und du bist tot«, presste der brutale Mann durch die Zähne. Seine Stimme schwankte, er hatte offensichtlich Schmerzen.
»Dreh dich ganz langsam um!«
In diesem Moment endete für Natalja das Leben. Sie hatte versagt. Sie war kläglich gescheitert, so kurz vor dem Ziel! Sie hatte Erik nicht retten können und würde Elias in seinem Kampf um Leben und Tot nicht mehr beistehen können. Ihr Leben war verwirkt, es würde nun, hier zwischen Wohnwagen und Hecke, auf einem lausigen Campingplatz inmitten von Mittelfranken, enden. Einfach so. Sinnlos vergeudet. Sie hatte noch so viel vor gehabt. Sie wollte Kinder. Heiraten! In Weiß zum Altar schreiten, mit Freudentränen »Ja« sagen, dazu »Oh Happy Day« von einem Gospelchor vernehmen. Sie wollte ihrer Mutter noch so viel erzählen. Eine Weltreise unternehmen. Bali sehen, Hongkong, New York, Rom, den Petersplatz und den Eifelturm. Sie wollte-
»Umdrehen, habe ich gesagt! «
Natalja gehorchte. Was blieb ihr auch anderes übrig. Der Killer würde der letzte Mensch sein, den sie in ihrem Leben noch sah. So hatte sie sich das nicht vorgestellt. Sie hatte immer gedacht, dass sie einmal in hohem Alter neben einem geliebten Menschen, der ihre Hand hielt, entschlafen würde. Langsam drehte sie sich um, spürte das Ende der Waffe durch ihre Haare gleiten. Vorsichtig hob Natalja den Kopf.
»Darja!« keuchte der Killer.
Natalja zitterte am ganzen Körper, starrte dem Mann in die brunnengleichen Pupillen. Er ragte drohend über ihr empor, einem mörderischen Dämon gleich, genauso wie in ihrer Horrorvision in Eriks Wohnraum. Nur jetzt kniete sie nicht auf einem kuscheligen Hochflorteppich, sondern in spitzen, kalten Steinen. Der Rest war genauso, wie sie es gesehen hatte, nur die Lederhandschuhe fehlten. Gleich würde sein Finger den Abzug spannen, ihr Leben beenden.
Plötzlich wurde ihr bewusst, dass er sie Darja genannt hatte - beim Namen ihrer Mutter. Wie konnte das sein? Verwirrt blickte sie zu ihm auf, wie zu einem Politiker am Rednerpult, der sinnlos dahinlaberte.
»Wie ist dein Name?« flüsterte er heiser. Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen.
»Na … Na … Natalja.«
»Dein Nachname!«
»Orlow.«
Der ausgeprägte Kehlkopf des Raben hüpfte schluckend nach oben.
Mit einem Ruck riss er die Waffe zurück, weg von ihrem Schädel.
Kapitel 16
»Natalja!« rief Erik überrascht aus, als er sie durch die offenstehende Wohnwagentür treten sah, dicht gefolgt von Alexander. Dieser steckte gerade eine seiner Pistolen zurück in den Holster.
»Erik! Bin ich froh! Dir geht es gut.« Als sie ihm in die Arme fiel, glitzerten Tränen in ihren geröteten Augen, die sich wie dunkle Schatten von ihrem blassen Gesicht abhoben.
Verblüfft über den unerwarteten Ansturm, tätschelte er ihr beruhigend den Rücken.
»Ich auch! Ich dachte, du wärst tot.« Sein Blick glitt vorwurfsvoll zu Alexander. Dieser schloss mit ausdrucksloser Miene die Tür, schob den Riegel davor. Schweigend griff er in ein Regal, holte eine dritte, dunkelbraune Tasse aus Nürnberg hervor, dieses Mal aus dem Jahr 2000. Geräuschlos stellte er sie vor Natalja ab, schenkte ihr schwappend Kaffee ein und nahm gegenüber von ihr und Erik auf dem Polster Platz.
»Was ist hier eigentlich los?« fragte Natalja giftig. »Erst wird auf mich geschossen, dann wird mir eine Pistole an den Kopf gehalten und jetzt soll ich seelenruhig eine Tasse Kaffee trinken? Habt ihr den Verstand verloren?« Sie fixierte Alexander. Ihr Blick wurde durchdringend. »Wieso haben Sie mich Darja genannt? Woher kennen Sie den Namen meiner Mutter?«
Alexander antworte nichts. Sein Blick forschte auf dem Grund seiner Tasse nach Schätzen. Vielleicht versuchte er auch im Kaffeesatz die nahe Zukunft zu lesen; Erik wusste es nicht. Dieser Mann war für ihn ein Buch mit sieben Siegeln.
Mit einem Ruck setze Alexander die Tasse an seine Lippen, leerte das mittlerweile abgekühlte Gebräu in einem kräftigen Zug.
Dann nuschelte er mehr in die Tasse: »Sie sieht dir verdammt ähnlich.«
»Ihr kennt meine Mutter?« Nataljas Augen
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