Blut und Harz
über die Flamme, wurde mit stillem Wasser aus der Flasche gefüllt. Als der gesamte Inhalt im Kessel war, sah der Killer zu Erik herüber.
»Das ist eine meiner Ausweichmöglichkeiten. Für den unwahrscheinlichen Fall, wie er heute eingetreten ist, besitze ich einen solchen Unterschlupf. Wer würde mich schon auf einem Campingplatz zwischen bratwurstgrillenden Dauercampern und zeltenden Teenies suchen?«
Erik hatte keine Antwort auf diese rhetorische Frage parat. Die Idee war einfach, aber brilliant. Schweigend sah er dem Mann zu, wie er einen Kaffeezubereiter aus einem Regal holte und ihn mit mehreren Löffeln Kaffee füllte. Der anregende Duft der gemahlenen Bohnen waberte durch den Raum.
»Ich habe den Wohnwagen samt Dauerstellplatz von den Vorbesitzern übernommen«, fuhr der Mann fort. »Eine Frau hatte alles zusammen in der Zeitung inseriert, weil ihr Mann an einem Herzinfarkt verstorben war. Er war begeisterter Dauercamper und starb draußen im Liegestuhl. Sie wollte mit allem hier nichts mehr zu schaffen haben. So kam ich an dieses -« der Rabe machte eine umfassende Geste »-Schmuckstück. Nennen Sie es, wie Sie wollen. Es erfüllt meine Anforderungen und im Sommer ist es hier sogar ganz gemütlich.«
Das Wasser im Kessel brodelte. Der Killer goss das dampfende Nass in die Kanne, was sich schlagartig dunkelbraun färbte. Flocken des gemahlenen Kaffees tanzten durch die Flüssigkeit, der Geruch nach frisch gebrühtem Kaffee intensivierte sich.
»Das glaube ich Ihnen sofort. Wem Camping gefällt, kann daran richtig Spaß haben. Ich will aber in ein Hotel. Im Urlaub auch noch die Alltagsarbeiten zu machen, ist der blanke Horror. Ach … wie soll ich Sie eigentlich nennen?« Erik versuchte so lässig wie möglichst zu klingen. Er saß immer noch in den Fängen eines Berufskillers, da war jede Information, die er herausfinden konnte, Gold wert.
Der Mann stellte die Kanne auf den Tisch, dazu folgten zwei Nürnberger Christkindlesmarkt Tassen aus den Jahren 1998 und 1999. Beiläufig sagte er: »Nennen Sie mich Alexander.«
Erik sah zu dem Killer hoch, verdutzt über die offene Antwort. »Erik«, stammelte er. »Sie können mich gerne Erik nennen.«
Alexander lächelte, gleichzeitig zog er mit einer fließenden Bewegung den langen Mantel aus, warf ihn auf das mit Blumen gemusterte Polster der Sitzecke.
Erik erbleichte, als er sah, was darunter zum Vorschein kam: ein doppelter Schulterholster aus geschmeidigem Leder, bestückt mit zwei Pistolen, zwei Messerschneiden, deren Griffe aus dem Leder hervorlugten, mehrere Handgranaten und etliches anderes Werkzeug. Für Erik bestand kein Zweifel mehr; dieser Mann war nicht nur ein Profi, er befand sich im Krieg.
Unter der todbringenden Ausrüstung spannten sich atmungsaktive Sportklamotten um ausgeprägte Muskeln. Alexander brauchte keinen Bodypainter, der ihm die Muskelgruppen auf den Leib airbrushte, wie es die Victoria‘s Secret Models nötig hatten. Man hätte ihn ohne Photoshop und Retusche auf dem Cover jeder Men‘s Health ablichten können.
Alexander nahm Erik gegenüber Platz, hielt dessen Mobiltelefon in Händen. Erik runzelte überrascht die Stirn. Er hatte nicht gesehen, wie der Mann es aus der Jacke geholt hatte. Bevor er etwas sagen konnte, kam ihm der Rabe zuvor: »Ruf deine Sekretärin an. Wir brauchen dringend Informationen. Ich denke, dass wir hier vorerst sicher sind, aber das dachte ich von meinem privaten Telefon auch!« Er schob das Handy entschieden über die Tischplatte.
Erik griff danach und wählte sofort die Rufnummer von Frau Schwarz. Seine Finger bebten unter dem bohrenden Blick des Raben. Momentan hatte er zwar die Gunst des Killers auf seiner Seite, doch man konnte nie wissen, wie lange die Launen eines solchen Mannes anhielten.
Noch bevor ein erstes Tuten ertönte, ging die Mobilbox ran.
»Hey, das ist der Anschluss von Lisa Schwarz! Ich bin kurzfristig verreist. Spar dir einen weiteren Versuch. Ich bin übers Wochenende beim Wandern in den Bergen. Komme am Sonntagabend zurück.«
»Mist!« brummte Erik und legte auf.
Der Rabe griff kommentarlos nach dem Telefon, wählte die Wahlwiederholung und lauschte. Nach einer halben Minute legte auch er mit grimmiger Miene auf.
»Sieht ganz so aus, als müssten wir hier ausharren.« Er seufzte laut. »Fällt dir noch etwas ein, wie wir an Informationen gelangen könnten? Irgendetwas, was wir tun können?«
Erik schüttelte den Kopf. Alle Informationsquellen waren versiegt oder nicht
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