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Blut und rote Seide

Blut und rote Seide

Titel: Blut und rote Seide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Qiu Xiaolong
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Ming-Villa. Soviel ich weiß, waren Sie damals der zuständige Nachbarschaftspolizist.«
    »Mei – ja, aber sie ist schon lange tot. Wie kann sie etwas mit Ihren aktuellen Ermittlungen zu tun haben?«
    »Ich kann Ihnen derzeit nicht mehr sagen, als daß Informationen über sie sachdienlich sein könnten.«
    »Na gut, ich habe zwei oder drei Jahre vor der Kulturrevolution hier als Nachbarschaftspolizist angefangen. Wie alt waren Sie da? Noch in der Grundschule, wie?«
    »Ja.« Chen nickte und hob seine Tasse.
    »Heutzutage zählt ein Nachbarschaftspolizist nichts mehr«, sagte Fan und brach sein mo in kleine Stückchen, als wären es Mosaiksteine seiner Erinnerung. »Aber als der Vorsitzende Mao Anfang der Sechziger zum Klassenkampf aufrief, war das eine verantwortungsvolle Position. Schließlich konnte jeder ein Klassenfeind sein, der es darauf abgesehen hatte, die sozialistische Gesellschaft zu sabotieren – ganz besonders in einer Wohngegend wie dieser. Ein Großteil der Bewohner hatte einen schwarzen Klassenstatus. Nach 1949 waren einige der Hausbesitzer wegen ihrer Kontakte zu den Nationalisten enteignet worden, Arbeiterfamilien zogen in ihre Villen ein. Aber es gab auch Familien, die Verbindungen zum alten wie zum neuen Regime hatten, so wie die Mings. Sie durften in ihren Häusern bleiben.«
    »Was geschah mit den Mings?«
    »Sie behielten die Villa, weil der alte Herr, ein einflußreicher Investmentbanker, sich Ende der vierziger Jahre von Chiang Kai-shek abgewandt hatte. Daraufhin erklärten die Kommunisten ihn zum patriotisch-demokratischen Mitbürger und ließen sein Vermögen unangetastet. Sein Sohn unterrichtete am Shanghaier Konservatorium, wo er seine Frau Mei kennenlernte, eine Geigerin, die ebenfalls dort lehrte. Sie hatten einen Sohn, Xiao Zheng. In ihrer Villa führten sie ein Luxusleben, was bei den Nachbarn aus der Arbeiterklasse immer wieder Unmut auslöste. Deshalb hatte ich als Nachbarschaftspolizist ein besonders scharfes Auge auf sie.
    Mit Ausbruch der Kulturrevolution veränderte sich die Situation dann dramatisch. Der alte Herr starb an einem Herzinfarkt, was ihm sicher viele Erniedrigungen erspart hat. Seine Familie kam nicht so glimpflich davon. Meis Mann wurde als britischer Geheimagent in Isolationshaft genommen, er hatte BBC gehört und stand im Verdacht, für den britischen Geheimdienst zu arbeiten. Er hat sich erhängt.
    Dann verloren sie auch noch das Haus. Die Mings, das heißt Mei und ihr Sohn, mußten in die Dachkammer der Garage, das ehemalige Dienstbotenzimmer, ausweichen, während Arbeiterfamilien im Haupthaus einzogen.«
    »Hat denn niemand etwas dagegen unternommen?« erkundigte sich Chen, erkannte aber sogleich, wie absurd seine Frage war. Auch seine Familie war zu Beginn der Kulturrevolution aus ihrer Vierzimmerwohnung vertrieben worden.
    »Erinnern Sie sich noch an das berühmte Mao-Zitat? ›Klassenkampf ist das Hauptfach der Jugendlichen.‹ Den Reichen ihr Eigentum wegzunehmen galt als revolutionäre Tat.«
    »Ja, natürlich. Die Roten Garden sind auch zu meiner Familie gekommen. Entschuldigen Sie die Unterbrechung, Genosse Fan. Bitte fahren Sie fort.«
    »Im dritten Jahr der Kulturrevolution tauchte dann an der Gartenmauer ein konterrevolutionärer Slogan auf, oder es hätte zumindest einer sein können. Vermutlich standen die Schriftzeichen ›nieder mit‹ und ›Vorsitzender Mao‹ nur zufällig beieinander und waren von Kindern zu verschiedenen Zeiten an die Wand geschmiert worden. Doch so etwas genügte damals schon, um Verdacht zu erregen. Der fiel im Zuge des Klassenkampfs natürlich zuerst auf die Mings, besonders auf den Jungen. Niemand hatte Beweise, daß er es gewesen war, aber genausowenig konnte man das Gegenteil beweisen.
    Also bildeten das Nachbarschaftskomitee und die Mao-Propagandatrupps von Meis Arbeitseinheit eine gemeinsame Ermittlungsgruppe. Der Junge wurde ins Hinterzimmer des Nachbarschaftsbüros gesperrt – ganz allein, zur sogenannten isolierten Befragung, mit der man damals den Widerstand von Klassenfeinden zu brechen suchte.
    Natürlich war sie in größter Sorge, daß auch der Junge zerbrechen würde. Tagelang flehte sie um seine Freilassung und war völlig außer sich. Sogar zu mir ist sie gekommen, aber ich war machtlos. Damals unterstand die Distriktpolizei ja dem Diktat der Rebellen. Einem Nachbarschaftspolizisten waren da erst recht die Hände gebunden.
    Dann wurde der Junge eines frühen Nachmittags plötzlich freigelassen. Es

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