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Blut und rote Seide

Blut und rote Seide

Titel: Blut und rote Seide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Qiu Xiaolong
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wissen vielleicht nicht, daß ich mit dem Fall des Bauprojekts Block Neun West betraut bin. Direktor Zhong vom Shanghaier Komitee für Rechtsreform möchte, daß ich …«
    »Dann war Ihr Literaturreferat also nur ein Vorwand«, schnaubte Li. »Das hätten Sie mir eher sagen können.«
    Eine weitere unkluge Bemerkung. Chen hatte Li mit einer Entschuldigung ablenken wollen, dabei jedoch übersehen, welch ein Gesichtsverlust es für den Parteikader war, über Chens Auftrag nicht informiert zu sein.
    »Nein, die Seminararbeit war kein Vorwand. Ich muß sie pünktlich abgeben. Was das Bauprojekt anbelangt, so wissen Sie ja sicher um die politische Brisanz des Falles. Ich habe bislang noch nichts unternommen, es gab also auch nichts zu berichten.«
    Und tatsächlich wütete, wie Chen erfahren hatte, ein Machtkampf an der Führungsspitze in der Verbotenen Stadt. Mehrere hochrangige Kader waren in den Bauskandal verwickelt, und Beijing nutzte dies im eigenen Interesse.
    »Sie sind eine zu große Statue für unseren kleinen Tempel, Oberinspektor Chen.«
    »Sagen Sie das nicht, Sekretär Li. Ich werde mich mit Hauptwachtmeister Yu wegen der qipao -Morde beraten, das verspreche ich Ihnen.«
    Also rief er nach dem Gespräch mit Li, statt in die Bibliothek zurückzukehren, pflichtschuldig bei Yu an.
    »Tut mir leid, Chef. Ich mußte heute morgen weg und habe Herrn Shen verpaßt.«
    »Halb so schlimm. Ich habe eben mit ihm zu Mittag gegessen, und er hat mir einen ausführlichen Vortrag über das Kleid gehalten.«
    »Wo sind Sie jetzt?«
    »Vor der Stadtbibliothek.«
    »Hätten Sie am Nachmittag vielleicht kurz Zeit? Ich möchte mit Ihnen reden.«
    »Ja, ich auch mit Ihnen.«
    »Sehr gut. Wo sollen wir uns treffen?«
    »Tja …« Einen Mordfall in der Bibliothek zu diskutieren war nicht angeraten. Chen sah sich um und entdeckte ein Café mit angeschlossener Töpferei, das ihm ziemlich leer erschien.
    »Hier gibt es eines dieser neumodischen Töpfereicafés. Dort erwarte ich Sie in zwanzig Minuten.«
    Chen betrat das L-förmige Ladenlokal. Die lange Seite sah aus wie ein ganz normales Café, die kurze Seite war als Werkstatt eingerichtet, lange Tische mit Tonbatzen, Töpferscheiben und ein Brennofen. Die Besucher konnten sich an der Töpferscheibe erproben und nebenbei eine Tasse Kaffee genießen. Momentan betätigte sich nur ein junges Paar in der Werkstatt, und Chen hatte das Café für sich. Das mochte an der Tageszeit liegen oder am Preis; der Kaffee war hier teurer als anderswo.
    Während er an dem heißen Kaffee nippte und den jungen Leuten zusah, die ganz in ihr Projekt vertieft waren, kam ihm eine Szene aus einem Hollywood-Film in den Sinn und gleich darauf ein klassisches ci -Gedicht der Dichterin Guan Daosheng aus dem dreizehnten Jahrhundert.
     
    Du und ich,
    sind ganz verrückt nacheinander,
    glühend wie ein Brennofen.
    Aus demselben Stück Ton
    bist du geformt,
    wurde ich geformt. Schlag
    uns zusammen wieder in den Ton,
    misch uns mit Wasser und forme
    ein neues Du,
    ein neues Ich.
    Dann trag auf ewig ich
    dich in mir, und du mich in dir.
     
    In der Werkstatt begann das Mädchen, das Gesicht des Jungen mit Ton zu beschmieren, ihr silberhelles Lachen drang zu Chen herüber, doch die Zärtlichkeiten, die sich die beiden zuflüsterten, verstand er nicht.
    Es war ein anrührendes Bild, ganz wie in dem Gedicht. Er gab sich mit dem schwarzen Kaffee zufrieden und versuchte eine erste Auswertung dessen, was er von Shen erfahren hatte.
    Er dachte über dessen imagistische Betrachtungsweise nach. Möglicherweise war die Bedeutung des Kleides gar nicht allein dem »Autor« zugänglich, doch die Tatsache, daß es sich an einem älteren Vorbild orientierte, erschwerte das Verständnis für die Polizisten.
    Peiqin hatte sich alte Filme angesehen auf der Suche nach etwas wie einem Archetyp.
    Vielleicht würde ihm das besser gelingen, nicht aufgrund seiner Fähigkeiten, sondern kraft seiner Verbindungen.
    Er suchte im Adreßbuch die Nummer von Wang heraus, der Vorsitzender des Schriftstellerverbandes und zugleich Erster Stellvertretender Parteisekretär des Chinesischen Künstlerverbands war, dem auch Modeschöpfer, Fotografen und Filmregisseure angehörten. Vor nicht allzu langer Zeit hatte Chen ihm einen Gefallen getan.
    »Haben Sie von den qipao -Morden in Shanghai gehört, Vorsitzender Wang?« begann Chen ohne Umschweife, sobald die Leitung nach Beijing stand.
    »Ja, auch in den Beijinger Zeitungen wurde darüber

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