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Blut und rote Seide

Blut und rote Seide

Titel: Blut und rote Seide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Qiu Xiaolong
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muß ich Ihnen einige Abbildungen zeigen.«
    »Großartig. Dann lade ich Sie zum Abendessen ein. Was halten Sie vom Restaurant zu den fünf Düften, gleich gegenüber der Bibliothek?«

8
    ALS CHEN DAS Restaurant betrat, wurde er von einem Kellner, der ihn seit Jahren kannte, herzlich begrüßt.
    »Lange nicht dagewesen, Chen. Was würden Sie denn heute gerne essen?«
    »Da verlasse ich mich ganz auf Ihre Empfehlung, aber nicht zuviel, wir sind nur zu zweit.«
    »Wie wär’s mit dem Spezialmenü für zwei?«
    »Wunderbar. Und eine Kanne starken grünen Tee, bitte.«
    Während er auf seinen Gast wartete, dachte er über seine Seminararbeit nach. Ein, zwei Geschichten zu analysieren würde nicht genügen. Wenn es ihm gelänge, diesen thematischen Widerspruch als Merkmal einiger klassischer Liebesgeschichten nachzuweisen, wäre dies eine originelle, interessante Erkenntnis. Doch dazu würde die Analyse von ein, zwei Geschichten nicht genügen. Er mußte sein Korpus erweitern.
    Er machte sich eine entsprechende Notiz in sein Heft, als er Shen, auf einen Stock mit Drachenkopf gestützt, hereinkommen sah. Für einen weißhaarigen Mittachtziger wirkte Shen erstaunlich munter. Er trug eine traditionelle wattierte Jacke und schwarze Stoffschuhe. Chen ging dem alten Herrn entgegen, um ihn an den Tisch zu führen.
    Wie sich herausstellte, war Shens Besuch im Präsidium nicht zu seiner Zufriedenheit verlaufen. Hauptwachtmeister Yu war in einer dringenden Angelegenheit unterwegs gewesen, und er war statt dessen von Liao empfangen worden. Der hatte wenig Interesse gezeigt und ihm erklärt, er habe in dieser Angelegenheit bereits mehrere Schneider konsultiert.
    Chen vermutete, daß es auch noch andere Gründe für Liaos mangelnde Höflichkeit gab. Wahrscheinlich hatte Liao sich geärgert, weil Shen auf Chens Betreiben ins Präsidium gekommen war. Doch es war nicht nötig, den betagten Wissenschaftler in solche Interna einzuweihen.
    »Verschwenden Sie keinen Gedanken mehr an Liao. Er kann manchmal stur wie ein Esel sein und ebenso dumm«, sagte Chen und schenkte Tee ein, während der Kellner die kalten Vorspeisen auftrug. »Geben Sie mir lieber eine Einführung in die Geschichte des qipao . Ich bin ganz Ohr.«
    Shen löffelte sich den mit Frühlingszwiebeln und Sesamöl garnierten weißen Jadetofu in seine Schale und begann: »Fangen wir mit dem Namen an. Dazu gibt es eine ganze Reihe von Erklärungen. Erstens bevorzugten die Mandschu, Männer wie Frauen, Kleidungsstücke in leuchtenden Farben. Zu Beginn der Qing-Dynastie teilten sie ihr Volk in acht Gruppen oder ›Banner‹ ein, die sich durch eigene Fahnen und spezielle Kleidung voneinander unterschieden. Das Zeichen qi für Fahne, Banner, ist dasselbe wie in qi pao. In den zwanziger Jahren wurde der qipao allerdings zur Mode und verlor so seinen ethnischen Bezug. Bis zum Ausbruch der Kulturrevolution erfreute er sich großer Beliebtheit, wurde dann aber erst wieder Mitte der Achtziger modern. Mittlerweile hat sich dieses Kleidungsstück auch international durchgesetzt. Hollywood-Stars tragen qipaos zu den Oskar-Preisverleihungen. Vermutlich, weil kein anderes Kleid die weibliche Figur so umschmeichelt und ihre Kurven so vorteilhaft zur Geltung bringt …«
    Es war eine lange Einführung, und Chen hörte interessiert zu. Da diese Kleider offenbar zur unverkennbaren Handschrift des Serientäters gehörten, konnte ein Polizist nicht genug darüber erfahren.
    »Nun zu dem Kleid, das Liao mir gezeigt hat: Es wurde vor langer Zeit angefertigt, vermutlich vor über zehn Jahren«, erklärte Shen und zog einige Fotos hervor. »Das sieht man an den Fäden, die bereits vergilbt sind. Und der Stoff, ein spezieller Seidendamast mit zusätzlich aufgedrucktem Muster, ist wahrscheinlich sogar noch älter. Der stammt schätzungsweise aus den Sechzigern. Das gilt auch für die winzigen Druckknöpfe aus Metall. Man benutzte sie nur in dieser Zeit oder früher. Seit den frühen achtziger Jahren bevorzugen Schneider Plastikreißverschlüsse, weil sie praktischer sind und weniger auftragen. Auch der Stil paßt in diese Periode. Sehen Sie sich die angeschnittenen Ärmel an. Modischer wären angesetzte Ärmel, die die weiblichen Kurven besser betonen. Außerdem sind sie leichter zu verarbeiten …«
    Shens Vorlesung wurde erneut unterbrochen, diesmal von der Ankunft der Hauptgerichte, darunter auch eine Glasschüssel mit lebendigen, in Schnaps eingelegten Krabben. Die betrunkenen Tiere zappelten zwar

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