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Blut und rote Seide

Blut und rote Seide

Titel: Blut und rote Seide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Qiu Xiaolong
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kannte sich aus in der Branche, das könnte ihm für die Ermittlungen von Nutzen sein.
    »Vielen Dank, Weiße Wolke. Klingt verlockend, zumal ich in den nächsten Tagen mit meinem Referat fertig werde.«
    Als nächstes rief er bei Professor Bian an, der schon nach dem ersten Läuten abnahm.
    »Wie kommen Sie voran, Oberinspektor Chen?«
    »Ich habe eine weitere Geschichte für mein Korpus gefunden. Glauben Sie, daß drei Texte für eine solche Studie genügen?«
    »Ja, das sollte reichen.«
    »In allen dreien gibt es etwas, das dem genrespezifischen Liebesthema zuwiderläuft: Die Heldin erweist sich plötzlich als Dämon oder Unheilbringerin. Diese Wendung wird jeweils durch ein unauffälliges Textmerkmal eingeleitet: ein medizinischer Begriff, ein zweideutiges Gedicht oder eine beiläufig geäußerte Phrase. Bei genauem Hinschauen erkennt man, daß damit das romantische Thema auf dramatische Weise in sein Gegenteil verkehrt wird.«
    »Eine originelle Beobachtung. Jetzt müssen Sie nur noch herausarbeiten, was dahintersteht.«
    »Ja, es muß etwas dahinterstehen«, wiederholte Chen. Kein Zufall also, genau wie in der Ermittlungsarbeit oder bei einer Psychoanalyse. Es mußte eine Erklärung geben. »Sie haben recht, Professor Bian.«
    »Die Geschichten, die Sie ausgewählt haben, stammen aus unterschiedlichen Dynastien und die Autoren aus unterschiedlichem sozialem Umfeld …«
    »Sie meinen, es muß einen universellen Hintergrund geben, unabhängig von den Zeitumständen und der Tatsache, ob der Autor sich dessen bewußt war oder nicht.«
    »So könnte man es bezeichnen. Etwas, was tief in der chinesischen Kultur verankert ist. Allerdings dürfte Ihr Vorhaben nicht einfach sein.«
    »Ich werde darüber nachdenken. Haben Sie herzlichen Dank, Professor Bian.«
    Ein entscheidender Denkanstoß. Als erstes kam ihm der Konfuzianismus in den Sinn, diese zwei Jahrtausende überdauernde, herrschende Ideologie, die bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts kaum hinterfragt worden war.
    Soweit Chen wußte, hatte Konfuzius selbst sich nie zum Thema Liebe geäußert.
    Dennoch fühlte er eine Erregung, als stünde er unmittelbar vor dem Durchbruch. Er hatte mehrere der konfuzianischen Klassiker aus der Bibliothek entliehen, ohne bislang die Zeit zu finden, darin zu lesen. Jetzt würde er in der Lage sein, eine sinnvolle Schlußfolgerung aus seinen Beobachtungen zu ziehen. In seinem Kopf überschlugen sich die Ideen, als das Telefon klingelte. Es war Direktor Zhong.
    »Ich habe den ganzen Morgen vergeblich versucht, Sie zu erreichen, Oberinspektor Chen.«
    »Tut mir leid. Ich hatte vergessen, mein Mobiltelefon einzuschalten«, entschuldigte sich Chen. »Gibt es neue Entwicklungen in der Wohnungsbauaffäre?«
    »Der Gerichtstermin wurde vorverlegt. Die Verhandlung findet bereits in zwei Wochen statt. Eine Entscheidung aus Beijing.«
    »Weshalb diese Eile?«
    »Je länger die Nacht, desto schlimmer die Träume. Niemand will, daß dieser Skandal sich weiter hinzieht. Peng wird seine Strafe bekommen, warum also warten? Man muß den Menschen das Gefühl geben, daß die Partei hinter ihnen steht.«
    »Das ist gut«, antwortete Chen, obwohl er wußte, daß hier wieder einmal die Politik den Ausgang eines Gerichtsverfahrens bestimmte. »Dann besteht ja kein Grund zur Sorge.«
    »Nun, dieser Jia macht ziemlich Druck. Er behauptet, Peng sei nicht der Alleinverantwortliche. Was will dieser Anwalt? Peng mag den einen oder anderen Verwandten in der Stadtregierung sitzen haben, aber das läßt doch nicht automatisch auf Korruption schließen. Haben Sie etwas über ihn herausfinden können?«
    »Nichts Auffälliges«, erwiderte Chen. Er war zu beschäftigt gewesen, um gründlich zu recherchieren, hatte bei seinen Erkundigungen jedoch nichts Nachteiliges über Jia gehört. »Ich werde mich weiter darum kümmern.«
    Als er das Telefon zuklappte, war ihm der Gedankengang für sein Referat entschlüpft. Auch eine frische Tasse Kaffee brachte ihn nicht zurück.
    Er warf einen Blick auf die Wanduhr und fühlte sich elend.

16
    FRÜH AM NÄCHSTEN Morgen erwachte Chen mit rasenden Kopfschmerzen.
    Er machte sich eine Kanne starken Kaffee und stürzte zwei Tassen hinunter – sein einziges Frühstück. Die Kopfschmerzen wurden davon nicht besser.
    Auch keine Idee, weder für sein Referat noch für die Ermittlungen, wollte sich einstellen.
    Dafür traf eine weitere Sendung per Kurier aus dem Präsidium ein, darunter auch Hongs Bericht über ihre

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