Blut und rote Seide
psychologischer Ansatz war bislang wenig erfolgreich gewesen.
Als der Wagen, den Gu geschickt hatte, unten hupte, stopfte er, beinahe unbewußt, doch noch schnell die Ordner mit den Ermittlungsunterlagen in seine Tasche.
Im Mercedes lieh er sich das Mobiltelefon des Fahrers und verständigte seine Mutter, daß er für ein paar Tage die Stadt verlassen würde. Sie vermutete wohl wieder einen seiner mysteriösen Einsätze, denn sie fragte nicht weiter.
Anschließend rief er Weiße Wolke an und bat sie, gelegentlich bei seiner Mutter vorbeizuschauen, bestand aber darauf, daß sein Aufenthaltsort geheim bliebe.
Vor ihm taten sich unter tiefhängenden Wolken die fernen Berge auf.
17
AM SPÄTEN NACHMITTAG langte Chen in dem Resort an.
Es bestand aus einem zentralen Hotelgebäude, einer Reihe von Villen und Bungalows, den entsprechenden Wellness-Einrichtungen sowie Golf- und Tennisplätzen. Der ganze Komplex lag in sanfte Hügel gebettet, dahinter funkelte ein großer See.
Die Villa, die ihm der Empfangschef als Ehrengast Gus anbot, lehnte er dankend ab und entschied sich statt dessen für eine Suite im Hauptgebäude. Der Empfangschef überreichte ihm ein Gutscheinheft.
»Die Gutscheine sind für Mahlzeiten und unsere weiteren Angebote. Sie brauchen hier nirgends zu bezahlen. Heute abend läßt Geschäftsführer Pei ein Menü speziell zu Ihrer Stärkung zubereiten – ein bu -Bankett. Aber keine Angst, es besteht nicht aus bitteren Kräutern, sondern aus erlesenen Köstlichkeiten.«
»Ein bu -Bankett!« wiederholte Chen amüsiert.
Der Begriff bu stammte aus der traditionellen chinesischen Medizin und galt als unübersetzbar. Er bezeichnete unter anderem stärkende Kräuterrezepturen oder Nahrungsmittel, die das Gleichgewicht zwischen yin und yang im Körper herstellten. Wie das im Rahmen eines Banketts funktionieren sollte, war Chen allerdings schleierhaft. Vermutlich steckte Gu hinter dieser Idee.
Die Suite bestand aus einem Wohn- und einem Schlafzimmer mit begehbarem Kleiderschrank. Chen packte seine Bücher aus und stellte sie auf den langen Tisch unter dem Fenster. Der Ausblick auf die Hügel war von winterlichen Wolken verhangen.
Er würde die Bücher heute nicht aufschlagen, verordnete er sich.
Statt dessen nahm er eine lange heiße Dusche, legte sich aufs Sofa und schlief sofort ein.
Als er wieder erwachte, war es schon Zeit zum Abendessen. Vielleicht wirkte die großzügig bemessene Dosis Schlaftabletten vom gestrigen Abend noch nach. Oder aber der Erholungseffekt setzte bereits ein.
Das Restaurant lag am Ostende des Komplexes. Man betrat es durch einen pompösen, zinnoberroten Torbogen, den zwei goldene Löwen flankierten. Bedienungen in roten Jacken mit schwarzglänzenden Revers begrüßten ihn am Eingang mit einer höflichen Verbeugung. Die Empfangsdame führte ihn durch den riesigen Speisesaal zu einem Séparée, das mit Milchglasscheiben vom Hauptraum abgetrennt war.
An einem großen runden Tisch erwarteten ihn Geschäftsführer Pei, ein stattlicher Mann mit großer, schwarzrandiger Brille und verbindlichem Lächeln, sowie weitere leitende Angestellte, darunter auch der Empfangschef, dem er an der Rezeption begegnet war. Jeder von ihnen überschüttete Chen mit Komplimenten, als kennten sie ihn seit Jahren.
»Herr Gu erzählt uns ständig von Ihren herausragenden Leistungen, Meister Chen. Es kostet viel Energie und Lebenskraft, solche Werke zu schaffen. Da dachten wir, unser bu -Bankett würde Ihnen vielleicht guttun.«
Chen fragte sich, wie er zu dem Titel »Meister« kam, doch er war Gu dankbar, daß dieser seine Identität als Polizeibeamter offenbar nicht preisgegeben und das alles für ihn arrangiert hatte.
Als Vorspeise brachte der Kellner ein Gericht namens Buddhakopf. Es bestand aus einem weißen Kürbis in Form eines Menschenkopfs, der in einem Bambuskorb gedämpft und mit einem grünen Lotosblatt bedeckt war.
»Eine Spezialität des Hauses.« Pei strahlte über das ganze Gesicht und gab dem Kellner, der mit einem langen Bambusmesser bewaffnet war, den Einsatz.
Chen sah zu, wie der Kellner ein Stück des »Schädels« absägte und anschließend mit den Stäbchen in das »Gehirn« fuhr, um einen gebratenen Spatz zutage zu fördern, der in einer gegrillten Wachtel steckte und diese wiederum in einer geschmorten Taube.
»So viele Gehirne in einem Kopf«, kicherte einer der leitenden Angestellten.
»Tja, kein Wunder bei einem Buddha«, lächelte Chen.
»Die verschiedenen Essenzen
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