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Blut und rote Seide

Blut und rote Seide

Titel: Blut und rote Seide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Qiu Xiaolong
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Scheidung war problemlos über die Bühne gegangen und würde in ein bis zwei Monaten rechtskräftig werden, worauf seine Frau sich schon freute, da sie einen neuen Freund hatte.
    Sein nächster Anruf galt Xiong, einem Kader in der Stadtregierung, der sich seinerzeit bei Tians Fabrik über dessen Aktivitäten während der Kulturrevolution erkundigt hatte. Xiong gab an, dies aufgrund eines anonymen Schreibens getan zu haben, in dem er auf Tians Grausamkeit hingewiesen worden sei. Er habe jedoch keinerlei Druck auf dessen Arbeitgeber ausgeübt. Dennoch war klar, daß die Fabrik entsprechende Maßnahmen ergreifen würde, sobald jemand in Xiongs Position an sie herantrat. Damit war Tians Schicksal besiegelt. Ein anonymer Brief war ein geschickter Schachzug gewesen; er ermöglichte es dem Schreiber, auf unverdächtige Weise »mit dem Messer eines anderen zu töten«. Xiong hatte keine Ahnung, wer der Verfasser gewesen war.
    Außerdem befaßte Chen sich mit der Massenkritik, die zu Beginn der Kulturrevolution am bourgeoisen Kleidungsstil, besonders den qipaos , geübt worden war. Wie Peiqin erinnerte auch er sich an das Bild von Wang Guangmei, die in einem qipao öffentlich kritisiert und gedemütigt worden war. Da er annahm, daß dies kein Einzelfall gewesen war, hatte er Weiße Wolke um eine Computerrecherche gebeten und sich daraufhin mit Yang in Verbindung gesetzt, einer Filmschauspielerin, der ähnliches zugestoßen war. Yang erinnerte sich, daß das Kleid in ihrem Fall weiß und sie mit Sicherheit nicht barfuß gewesen war. Man hatte sie vielmehr gezwungen, ein Paar ausgelatschte alte Schuhe zu tragen, die als Symbol für Frauen mit promiskuitivem Lebensstil galten. Und noch ein Detail wich von dem vorliegenden Fall ab. Die Seitenschlitze ihres Kleides waren von den Rotgardisten mit einer Schere bis zur Taille aufgeschnitten worden, so daß ihr Slip sichtbar gewesen war. Im Gegensatz dazu waren die Schlitze bei den Mordopfern eingerissen, als hätte ein Kampf stattgefunden. Yu, bei dem Chen noch einmal nachfragte, hatte diesen Eindruck bestätigt. Das Kleid des ersten Opfers war vermutlich im Zorn vom Täter zerrissen worden. Beim zweiten und dritten Opfer jedoch war die Ähnlichkeit in einer Art Inszenierung bewußt hergestellt worden. Wie auch immer, der Hinweis auf sexuelle Gewaltanwendung war unübersehbar.
    Am Montag sprach er dann mit dem Anwalt Ding Jiashan, der in Tians Verfahren wegen Lebensmittelvergiftung die Betroffenen vertreten hatte. Laut Ding war die ganze Angelegenheit zwielichtig gewesen, ein Fall, der für einen Anwalt kaum von Interesse war. Die Anwaltskosten lagen mit Sicherheit höher als das, was an Schmerzensgeld von einem so kleinen Lokal zu erwarten war. Dennoch waren seine Klienten wild entschlossen gewesen und hatten ihm das Honorar sogar vorab bezahlt. Auch war das Verfahren ungewöhnlich gut vorbereitet gewesen. Sie hatten die Rechnung des Lokals und den Bericht des Krankenhauses vorgelegt, und ihre Darstellungen ergänzten sich. Ding hatte zunächst eine Klage bei der Handelskammer eingereicht, worauf man Tian ein hohes Bußgeld auferlegt und sein Lokal geschlossen hatte. Die Betroffenen zeigten sich mit diesem ersten Schritt zufrieden, doch als Ding einige Tage später bei ihnen anrief, um das weitere Vorgehen zu besprechen, hatten sie ihre Telefone abgemeldet. Der Anwalt war sich nicht einmal sicher, ob sie ihm ihre wirklichen Namen genannt hatten.
    Offenbar hatte es jemand es auf Tian abgesehen, was allerdings nicht unbedingt mit dem qipao -Fall in Verbindung stehen mußte.
    Zwischendurch ging Chen die Unterlagen durch, die Yu und Hong zusammengestellt hatten. Hong hatte sich das Wochenende über nicht gemeldet. Vermutlich war sie mit der Vorbereitung ihres Lockvogel-Auftritts beschäftigt.
    Sein besonderes Augenmerk galt auch weiterhin den Widersprüchen in diesem Fall, doch seine Beschäftigung damit förderte nur neue Widersprüche zutage.
     
    Am Dienstag gestand sich Chen dann schließlich ein, daß er trotz seiner vielfältigen Bemühungen nicht weiter gekommen war als seine Kollegen.
    Er wollte sich eben frustriert eine Tasse Kaffee machen, als Professor Bian anrief und sich nach den Fortschritten seines Referats erkundigte.
    »Ich arbeite daran«, sagte Chen.
    »Werden Sie zusammen mit den anderen Studenten abgeben können?« wollte Bian wissen. »Es ist ein vielversprechender Beitrag.«
    »Ja, ich gebe pünktlich ab.«
    Doch kaum hatte er den Hörer aufgelegt, da kamen ihm

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