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Blut und rote Seide

Blut und rote Seide

Titel: Blut und rote Seide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Qiu Xiaolong
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bilden zusammen eine hervorragende Geistesnahrung«, fügte ein anderer Angestellter hinzu. »Besonders für Intellektuelle, die sich ständig das Hirn zermartern.«
    »Die verschiedenen Geflügelsorten sorgen für einen perfekten Ausgleich zwischen yin und yang «, bemerkte ein weiterer.
    Chen war mit dieser auf Analogie beruhenden diätetischen Theorie durchaus vertraut. Seine Mutter hatte ihm vor Prüfungen auch immer Schweinehirn gekocht, aber dieses Gericht war natürlich viel erlesener.
    Als nächstes kam eine Süßwasserschildkröte auf den Tisch, gedämpft mit weißem Kandiszucker, Wein, Ingwer, Frühlingszwiebeln und einigen Scheiben Jinhua -Schinken.
    »Wie allgemein bekannt, nährt Schildkrötenfleisch das yin . Aber was man auf den Märkten bekommt, sind Zuchttiere, die mit Hormonen und Antibiotika vollgepumpt sind. Diese hier stammt direkt aus unserem See«, erklärte Pei mit Nachdruck, während er an seinem Weinglas nippte. »Die Leute haben oft irrige Vorstellungen von yin und yang . So bevorzugen sie zum Beispiel im Winter rote Fleischsorten wie Lamm, Hund oder Hirsch, aber das ist keineswegs dialektisch …«
    »Ja, man sagt solchem Fleisch nach, daß es das yang stärkt, also gut gegen die Winterkälte ist. So habe ich das auch gehört.« Chen war fasziniert von Peis Vortrag, der geradezu philosophisch anmutete. »Aber was soll daran dialektisch sein?«
    »Manchen Menschen, bei denen das yang bereits pathologisch vorherrscht, kann der Genuß von rotem Fleisch abträglich sein. In solchen Fällen ist Schildkröte als Ausgleich angeraten«, erklärte Pei mit geröteten Wangen, die offenbar weniger vom Wein als von Chens Einwand herrührten. »Ein weiterer verbreiteter Irrtum besteht darin, daß die Leute meinen, Sex erschöpfe das yin und sei daher schädlich. Sie vergessen dabei, daß auch harte Arbeit die yin -Energie reduziert.«
    »Ach, tatsächlich!« bemerkte Chen, dem dabei sofort die »Durst-Krankheit« einfiel, auf die er im Zuge seiner literarischen Studien gestoßen war. »Das ist ja interessant.«
    »Unser Menü ist auf ideale Weise ausbalanciert. Es stärkt yin und yang gleichermaßen. Schon Konfuzius warnte, daß man bei Nahrungsmitteln nicht wählerisch genug sein könne. Und dabei ging es ihm mit Sicherheit nicht bloß um den Geschmack. Ein Weiser wie Konfuzius sieht das viel grundsätzlicher. Nahrung sollte ein Stärkungsmittel sein, damit man etwas leisten kann für sein Land.«
    Auch wenn diese Weisheiten vorwiegend der Umsatzsteigerung dienten, so zeigten sie doch einmal mehr, wie stark Konfuzius noch immer im Leben der Chinesen verankert war.
    Und Pei bewies seine Kompetenz nicht nur durch theoretische Kenntnis. Während des Banketts folgte eine Überraschung auf die andere: Fischsuppe aus riesigen Fischköpfen, angereichert mit amerikanischem Ginseng; hajia – eine Eidechsenart aus Guangxi, die man normalerweise getrocknet in chinesischen Apotheken bekam – war hier frisch, zusammen mit weißen Mu’err-Pilzen zubereitet worden, außerdem wurde Schwalbennester-Reisbrei mit scharlachroten Bocksdornbeeren gereicht.
    »Ach, Schwalbennester«, jubelte Pei und hob die Schöpfkelle. »Beim Nestbau auf den Klippen tragen die Schwalben alles mögliche herbei und fügen es mit ihrem Speichel – der Essenz des Lebens – zusammen.«
    Schwalbennester waren ein anerkanntes Stärkungsmittel. Das Schälchen mit köstlichem Reisbrei erinnerte ihn an eine Passage im Roman Traum der Roten Kammer , wo das Schwalbennest-Frühstück für die zierliche Heldin mehr kostete, als ein Bauer das ganze Jahr über zum Sattwerden brauchte.
    »Was ist denn so besonders am Speichel der Schwalben?« erkundigte sich Chen.
    »Manchmal haben Menschen infolge mangelnder Speichelproduktion einen trockenen Mund, besonders nach dem Spiel von Wolken und Regen«, erklärte Pei mit warmem Lächeln. »Auch das ist ein Symptom für mangelndes yin .«
    »Ja, wie bei der Durstkrankheit«, bemerkte Chen. Man konnte aus den unterschiedlichsten Gründen Durstgefühle entwickeln, überlegte er, nicht nur nach dem Geschlechtsverkehr.
    Zu Chens Erstaunen kam als nächster Gang in Sojasoße geschmortes, fettes Schweinefleisch auf den Tisch, bescheidene Hausmannskost im Vergleich zu den bisherigen Extravaganzen.
    »Das Lieblingsgericht des Vorsitzenden Mao«, verkündete Pei, der Chens fragenden Blick bemerkt hatte.
    »Eines Abends vor einer Entscheidungsschlacht im Bürgerkrieg erklärte Mao: ›Mein Hirn ist ausgelaugt. Ich

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