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Blut und rote Seide

Blut und rote Seide

Titel: Blut und rote Seide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Qiu Xiaolong
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brauche fettes, in Sojasoße geschmortes Schweinefleisch, um es zu beleben.‹ Damals war es nicht so einfach, Fleisch auf den Tisch zu bringen, doch es gelang dem Zentralen Parteikomitee, Mao jeden Tag eine Schale fettes Schweinefleisch zu beschaffen. Prompt führte Mao die Volksbefreiungsarmee daraufhin von Sieg zu Sieg. Und Mao kann, wie wir alle wissen, nicht irren.«
    »Nein, Mao kann nicht irren«, echote Chen, das Schweinefleisch schmeckte ihm.
    Dann wurde der Höhepunkt des Banketts hereingetragen – ein Affe, dessen geschorener Schädel oben aus dem Käfig ragte, während seine Glieder an die Gitterstäbe gefesselt waren. Der Kellner stellte den Käfig zur Inspektion vor ihnen ab. Lächelnd stand er mit einer Edelstahlsäge und einer kleinen Schöpfkelle bereit und wartete auf das Signal. Chen hatte schon von diesem Gericht gehört. Dem Affen würde bei lebendigem Leib der Schädel aufgesägt werden, damit die Gäste das frische, blutige Hirn verzehren konnten.
    Plötzlich verlor Chen die Nerven, er begann fast so heftig zu schwitzen wie bei seinem Zusammenbruch am Morgen. Vielleicht war er doch noch nicht ganz wiederhergestellt.
    »Was ist los mit Ihnen, Meister Chen?« erkundigte sich Pei.
    »Mir geht’s bestens, Geschäftsführer Pei«, entgegnete Chen und wischte sich mit der Serviette den Schweiß von der Stirn. »Das Schweinefleisch war hervorragend. Es erinnerte mich an ein Gericht, das meine Mutter immer kochte, als ich noch ein Kind war. Sie ist eine gläubige Buddhistin, müssen Sie wissen. Deshalb möchte ich ihr zuliebe vorschlagen, den Affen freizulassen. Bei den Buddhisten nennt man das fangsheng – ein Leben freisetzen.«
    »Fangsheng …« Darauf war Pei nicht vorbereitet, doch er fing sich rasch. »Meister Chen ist ein pietätvoller Sohn. Wir werden tun, was er wünscht.«
    Auch die anderen stimmten zu, worauf der Kellner den Käfig wegbrachte und versprach, den Affen in die Hügel zu entlassen. Chen dankte ihm und fragte sich, ob er ihm trauen konnte.
    Aber Pei war ein so liebenswürdiger Gastgeber, daß Chen die Affen-Episode bald vergaß. Vor dem Fenster dehnte sich der Abend wie eine traditionelle chinesische Bildrolle, die ein winterliches Panorama vor fernem Horizont zeigte. In dieser Höhe war es länger hell, und die Berggipfel entfalteten ihre ganze Pracht erst im letzten Glanz des vergehenden Tages.
    Durchflutet von warmem Wohlbehagen, hob Chen sein Glas. Das bu -Bankett schien zu wirken, wenn auch nur psychologisch.
    Zurück auf seinem Zimmer hatte er das Gefühl, seine Batterien seien aufgeladen worden wie in einem Werbespot.
    Entspannt lehnte er sich in die weichen Sofakissen zurück und überließ sich einer Welle angenehmer Schläfrigkeit. In der Stadt fiel ihm das Einschlafen stets schwer, doch heute würde er keine Probleme damit haben. Lag es an dem Bankett? Sein Körper schien unmittelbar auf diese Stärkung seines yin und yang zu reagieren.
    Inmitten mäandernder Gedanken schlief er ein.
    Und er schlief immer weiter. Zwischendurch wachte er wohl ein paarmal auf, doch hinter den dichten Gardinen, eingehüllt in behagliche Faulheit, blieb er liegen. Er verspürte auch keinen Hunger. Er sah nicht einmal auf die Uhr auf seinem Nachttisch. Es war eine seltene und unerklärliche Erfahrung, die seiner Genesung förderlich wäre, dachte er.
    Dann fiel er erneut in tiefen, zeitlosen Schlaf.

18
    VÖLLIG UNVERHOFFT ERHIELT das Shanghaier Polizeipräsidium einen Hinweis.
    Er bestand – wenn es denn ein Hinweis war – aus einer Anzeige in der Shanghaier Abendzeitung . Genauer gesagt in einer aus dem Anzeigenteil ausgeschnittenen Kleinanzeige, die in einem Kuvert, adressiert an Inspektor Liao, im Präsidium eingegangen war:
     
    Vollenden wir die drei Sparten. Nach dem Singen und dem Essen ist es jetzt Zeit zum Tanz. Und welcher Ort eignet sich besser dafür besser als das Joy Gate? Zur üblichen Zeit – Wengge Hongqi .
     
    Was wie eine humorvolle Botschaft unter Freunden klang, war, an Liao adressiert, eine düstere Drohung.
    »Das ist kein Hinweis aus der Bevölkerung«, überlegte Liao stirnrunzelnd.
    Von den Mordopfern im roten qipao war eines ein Tischfräulein, das andere Karaoke-Begleiterin gewesen, also wäre jetzt, wie Hong bereits gefolgert hatte, ein Tanzmädchen an der Reihe.
    »Die übliche Zeit« – das verlieh der Sache weitere Dringlichkeit. Donnerstag nacht oder früher Freitag morgen.
    »Wengge Hongqi« war ganz offensichtlich kein richtiger Name. Man konnte

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