Blut und Silber
Eroberung der Frauenburg.
Sibyllas List war aufgegangen: Sie und Christian hatten in der Nacht als Gaukler Einlass gefunden und die Besatzung unterhalten. Bald stahl sich der Rotschopf unter einem Vorwand aus der Halle, überrumpelte die zwei nachlässigen Wachen am Tor und öffnete die Burg für die Kämpfer unter Ulrichs Kommando.
Friedrichs Männer hatten das Überraschungsmoment auf ihrer Seite. Der blutige Kampf, der sofort in der Halle und auf dem Burghof entbrannte, neigte sich bald zugunsten der Meißner. Als die größte Gefahr vorbei war und sich fast die komplette Burgbesatzung ergeben hatte, schickte Ulrich alle entbehrlichen Männer unter dem Kommando Sättelstedts los. Sie sollten Friedrich Rückendeckung geben, der wie verabredet losgeritten war, als die Palisaden der Frauenburg in Flammen standen und somit die größte Verwirrung herrschte. Christian war dieser Gruppe zugeteilt worden, weil er wegen seiner Rolle als Gaukler weder Waffen noch Rüstung trug.
So wusste er nicht, was seitdem dort unten alles geschehen war, und hatte nun mehr Gelegenheit, als ihm lieb war, sich Sorgen um das Schicksal seiner Freunde zu machen.
Als sie die zur Hälfte niedergebrannte Burg erreichten, kräuselten sich von den Überresten der Palisaden nur noch da und dort ein paar dünne Rauchfäden empor. Rußflocken hatten sich über alles gelegt und die Kleider und Gesichter der Männer mehr oder weniger geschwärzt.
Die Gefangenen hockten waffenlos und gut bewacht in der Mitte des Hofes. Ein paar Schritte weiter ließ sich ein halbes Dutzend Kämpfer notdürftig die Wunden verbinden, während vier andere die Toten nebeneinanderlegten. Zu seiner Erleichterung erkannte Christian schon von weitem, dass kein Frauenkörper dabei war.
Also lebte Sibylla noch. Aber warum versorgte dann nicht
sie
die Verletzten? Er stieg vom Pferd und ging auf die Toten zu.
Bitte, Herr, lass nicht Markus oder den Herrn von Maltitz dort liegen!, betete er stumm. Diesen beiden Männern verdankte er, dass er nicht als Bettler sein Dasein fristen musste, sondern trotz seines verkrüppelten Fußes als vollwertiger Kämpfer angesehen wurde.
Keiner der beiden gehörte zu den Toten; dafür ein anderer Vertrauter aus vergangenen Tagen: der alte Wilhelm, der die Gruppe der Freiberger in Rochlitz angeführt hatte. Die anderen waren Männer, die er hier in Thüringen schätzen gelernt hatte. Schaudernd bekreuzigte er sich und sprach ein Gebet für die Seelen der Toten. Dann sah er sich weiter um und entdeckte schließlich Markus, der gerade mit einer Hand und den Zähnen ein Stück Leinen über einer blutenden Wunde am Arm zurechtzurrte. Erleichtert lief Christian zu ihm und übernahm es, den Verband um den Oberarm des Freundes zu knoten.
»Von Maltitz und Sibylla werden oben dringend gebraucht«, sagte er und wies mit dem Kopf Richtung Wartburg. »Weißt du, wo sie stecken?«
Markus zuckte mit den Schultern und sah sich um. »Keine Ahnung. Gehen wir sie suchen!«
Ich hoffe, wir stören sie nicht, dachte er. Nichts löste die Anspannung nach einem Kampf so gut, wie kraftvoll in eine Frau zu stoßen, die einen bereitwillig empfing. Das wusste jeder von ihnen. Doch inzwischen sollten die beiden miteinander fertig sein. Wenn Friedrichs Sohn verletzt und der Feldscher geflohen war, dürfte das wohl dringlich genug sein, um zu stören.
Hinter ihnen gab gerade Albrecht von Sättelstedt den anderen Männern Befehl, die Gefangenen zum Frauentor zu führen, damit die Männer des Herzogs von Braunschweig mit den Eisenachern über den Freikauf verhandeln konnten.
Markus und Christian warfen nur einen kurzen Blick zu ihnen und betraten das Haupthaus aus Fachwerk, dessen eine Seite durch das Feuer in Mitleidenschaft gezogen worden war. Die Halle war leer. Die beiden verständigten sich mit einem Blick und gingen die Treppe hinauf, während Markus versuchte, den pochenden Schmerz seiner Wunde zu ignorieren. Wo mochten Ulrich und Sibylla stecken? Sie durchsuchten eine Kammer nach der anderen, ohne jemanden zu finden, abgesehen von zwei Toten und einer vollkommen verängstigten Magd, die sie hinaus auf den Burghof schickten.
Auch im Dachgeschoss war niemand. Also klommen sie die knarrende hölzerne Stiege wieder hinab.
»Keller?«, fragte Markus knapp, und Christian nickte.
Diese Treppe war aus Stein und führte zu einer Tür, die einen Spaltbreit offen stand. Markus wollte sicherheitshalber anklopfen, doch mitten in der Bewegung hielt er inne. Er hätte
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