Blutbeichte
Martinez. »Es könnten sogar zwei Opfer sein.«
»Beide weiß?«
»Ja. Wir haben mit einem anderen Angehörigen eines Opfers gesprochen, der in der Nacht, als der Mann starb, einen Anruf von ihm erhalten hat. In dem Gespräch ging es aber um etwas anderes als bei Ihnen. Und nun fragen wir uns, ob vielleicht Zusammenhänge bestehen …«
Mrs Aneto schloss die Augen. Ihre Lippen bewegten sich in einem stillen Gebet. Dann atmete sie tief ein. »Weiße Detectives haben meinen Sohn als Latino-Opfer kennengelernt. Erster Minuspunkt. William ist homosexuell. Zweiter Minuspunkt. Ein dritter Minuspunkt wäre gewesen, wenn ich Ihnen gesagt hätte, um was es in dem Telefonat ging. Sie haben nichts getan, um Williams Mörder zu finden. Es war Ihnen völlig egal. Und jetzt sind Sie nur deshalb noch einmal hergekommen, weil auch weiße Männer ermordet wurden. Ich sage Ihnen jetzt etwas, das ich Ihnen damals nicht gesagt habe, und ich sage es Ihnen deshalb, weil zwischen den Morden vielleicht ein Zusammenhang besteht. Wenn Sie sich schon nicht für William ins Zeug gelegt haben, weil er die falsche Hautfarbe hatte, werden Sie es vielleicht für die neuen Opfer tun.«
»Mrs Aneto …«, sagte Danny.
Sie hob einen Finger. »Ganz egal, was Sie sagen wollen, an meiner Überzeugung wird sich nichts ändern.«
»Ihre Überzeugung, Mrs Aneto?«
Sie starrte ihn an. »Seit einem Jahr steigere ich mich in meine Wut und Bitterkeit hinein. Und jetzt bekomme ich meine Chance. Ich werde nicht um diese weißen Männer weinen, weil sie mir vielleicht helfen werden, meinen William endlich in Frieden ruhen zu lassen. Auf meinen armen Sohnfällt kein gutes Licht, aber ich bin froh, dass Bewegung in Ihre Ermittlungen kommt.
Zwei meiner Söhne sind tot. Pepe, mein Jüngster, wurde vor drei Jahren aus einem fahrenden Auto heraus erschossen – ein Bandenkrieg in Alphabet City. Mir wurde gesagt, er hätte Drogen beschafft. Ich habe das nie geglaubt. Und Pepes Mörder wurden nie gefasst.
Wie Sie wissen, hat William mich in der Nacht angerufen, als er starb. Es stimmt nicht, dass er mich nur anrief, um mir eine gute Nacht zu wünschen.« Sie verstummte kurz. »Ich konnte ihn kaum verstehen. Er schien betrunken zu sein. Er schluchzte und atmete schwer. Er sagte zu mir: ›Mom? Ich habe Pepe getötet.‹ Ich fragte ihn: ›William, ist alles in Ordnung? Was ist denn los?‹ Daraufhin erzählte er mir, was geschehen war. Er sagte, er habe Pepe losgeschickt, Drogen für ihn zu beschaffen. Darum sei Pepe dort gewesen. Und darum sei er erschossen worden. William bat mich um Vergebung. Immer wieder. Ich war wütend auf ihn. Aber ich hatte auch Angst um ihn, denn er hörte sich verzweifelt an. Als die Polizei am nächsten Morgen kam und mir sagte, dass man ihn tot aufgefunden habe, dachte ich, er hätte Selbstmord begangen.«
»William hat Drogen genommen?«
»Ich wusste nichts davon. Aber er muss das Zeug wohl irgendwann genommen haben. Ich weiß, dass William clean war, als er starb. Das hat die Untersuchung seines Leichnams bewiesen. Doch wenn ich Ihnen erzählt hätte, was er am Telefon gesagt hat, hätten Sie sich nur darauf konzentriert, dass er mit Drogen zu tun hatte.«
»Mrs Aneto, uns ist jedes Opfer wichtig«, beteuerte Danny. »Niemand wird aufgrund seiner Hautfarbe, seines Glaubens, seines Lebensstils oder aus irgendeinem anderen Grund anders behandelt. Wir wollen den Mörder Ihres Sohnes finden. Und wir wollen alle Informationen, die wir brauchen, damit uns das gelingt. Diese Informationen werden von uns nicht nach einembestimmten System bewertet. Für uns stellen sie nur Fakten dar, die uns entweder eine Spur zum Killer liefern oder nicht.«
Mrs Aneto nahm ein Foto von William, das in einem glänzenden schwarzen Holzrahmen steckte, vom Sideboard und betrachtete das Bild. »Ich rede erst heute mit Ihnen, weil ich Hoffnung habe. Ich bin noch immer verbittert und wütend, aber ich habe Hoffnung. Dass ich Ihnen das alles nicht schon vor einem Jahr gesagt habe, bedaure ich nicht. Ich stehe zu meiner Entscheidung, denn ich mag gar nicht daran denken, wie wenig Mühe Sie sich gegeben hätten, wenn Sie gewusst hätten, dass William mit Drogen zu tun hatte.«
Joe nahm seine Jacke von der Stuhllehne und schaute sich im Büro um.
»Ich hab noch nichts gegessen und besorg mir was zum Frühstück, Leute. Möchte noch jemand etwas?«
Joe nahm drei Bestellungen entgegen. Als er aus dem Aufzug stieg, klingelte sein Handy. Es wurde eine Nummer
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