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Blutbeichte

Blutbeichte

Titel: Blutbeichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Barclay
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Morgen jemand bei ihr zu Besuch war, aber sie wüsste nicht mehr, wer es gewesen ist.«
    »Und was hat dieses Briefeschreiben zu bedeuten?«
    »Mary leidet an Schläfenlappen-Epilepsie. Damit geht manchmal eine sogenannte Hypergrafie einher. Mit anderen Worten, Mary verspürt einen inneren Zwang zu schreiben. Sie kann sich nicht dagegen wehren. Umfang und Qualität dessen, was sie schreibt, können sehr unterschiedlich sein. Dostojewski litt auch an Hypergrafie. Poe ebenfalls. Und Lewis Caroll – Sie kennen sicher Alice im Wunderland . Anscheinend erfolgt die Inspiration im Vorfeld eines Anfalls, wenn die Dinge größer oder kleiner zu sein scheinen. Wenn Sie sich Marys Wohnung anschauen, werden Sie sehen, dass überall Geschriebenes herumliegt. Sie mag hübsches Briefpapier und besitzt jede Menge davon. Sie schreibt aber auch auf Toilettenpapier, auf die Rückseite von Rezepten, auf Müslischachteln … einmal hat sie sogar auf die Wand geschrieben.«
    »Lesen Sie, was Mary schreibt?«, fragte Joe.
    »Nein. Nur weil sie an einem Schädel-Hirn-Trauma leidet, heißt das noch lange nicht, dass wir das Recht haben, in Marys Wohnung einzudringen und ihre Privatsphäre zu verletzen. Ihre Wohnung ist ihr Reich, und was sie dort tut, ist allein ihre Sache – natürlich innerhalb eines vernünftigen Rahmens. Aber wie es aussieht, müssen wir wohl doch genauer hinschauen.«
    »Warum schreibt sie uns ? Was glauben Sie?«
    »Ich weiß es nicht. Aber Sie können Mary selbst danach fragen. Ich habe ihr gesagt, dass Sie kommen. Aber sie hat ein bisschen das innere Gleichgewicht verloren, weil ihre Therapeutin verreist war, Magda Oleszak. Sie hatte Urlaub.«
    »In Ordnung«, sagte Joe. »Wir werden daran denken. Noch einmal zu der Frage, warum Mary uns kontaktiert …«
    »Vielleicht hat Mary Sie in den Nachrichten oder in der Zeitung gesehen. Es kommt häufig vor, dass jemand wie Mary sich für alles Übel in der Welt verantwortlich fühlt. Wir können uns Nachrichten über einen Mord oder eine Naturkatastrophe anschauen und haben Mitleid mit den Opfern und ihren Familien, aber Mary fühlt sich tatsächlich schuldig und möchte helfen. Auch Religiosität spielt dabei eine Rolle. Sie möchte allen Menschen Beistand leisten. Personen mit Schädel-Hirn-Verletzungen sind oft sehr auf sich selbst fixiert, und Mary bildet da keine Ausnahme, doch sie ist auf ihre Weise sehr um das Wohlergehen anderer Menschen besorgt. Sie ist überhaupt sehr freundlich, besonders zu den anderen Bewohnern hier.«
    »Muss Mary Medikamente nehmen?«
    »Jetzt bringen Sie mich erneut in einen Gewissenskonflikt.« Julia seufzte. »Aber gut, ich will Ihnen helfen. Ich schaue rasch in ihrer Krankenakte nach.« Sie blätterte die Akte durch. »Ah,hier steht es. Als Mary hierherkam, bekam sie täglich dreihundert Milligramm Phenytoin gegen die epileptischen Anfälle, doch sie hat das Medikament nicht vertragen. Deshalb stellten die Ärzte sie auf drei Mal täglich fünfhundert Milligramm Valproinsäure um, doch von dem Mittel wurde ihr Haar immer dünner. Als ihr dann büschelweise die Haare ausfielen, bekam sie Panikanfälle und nahm überhaupt keine Medikamente mehr. Und es ging ihr gut. Bis vor drei Monaten, als sie ihren ersten epileptischen Anfall bekam.«
    »Ihren ersten Brief haben wir vor einem Monat erhalten.«
    »Seitdem hatte sie weitere Anfälle.«
    Es klopfte an der Tür.
    »Das wird Mary sein«, sagte Julia. »Komm herein, Mary!«
    Mary Burig öffnete die Tür einen schmalen Spalt, zwängte sich hindurch und schloss die Tür wieder hinter sich. Sie trug eine hellrosa Strickjacke, die ihr ein wenig zu groß war, dazu ein blaues Seidentop, Jeans und Flip-Flops. Da sie den Kopf gesenkt hielt, fiel ihr das glänzende schwarze Haar, das in der Mitte gescheitelt war, ins Gesicht.
    »Hallo, Mary«, sagte Julia. »Komm und setz dich.«
    Mary hob langsam den Kopf.
    »Guten Tag, Mary«, sagte Joe. »Ich bin Detective Joe Lucchesi.«
    »Hallo.« Mary reichte ihm die Hand.
    »Detective Danny Markey«, sagte Danny und beugte sich zu ihr vor.
    »Guten Tag.«
    »Setz dich, Mary«, wiederholte Julia.
    »Wir haben Stanley Frayte heute getroffen«, sagte Joe. »Er wollte einen Brief für Sie einwerfen. Wir haben Ihre Briefe hier, Mary. Haben Sie die geschrieben?«
    »Ja.« Sie runzelte die Stirn. »Wie viele Briefe haben Sie?«
    »Drei.«
    »Aber ich habe Ihnen fünfzehn geschickt.«
    »Fünfzehn!«, staunte Danny. »Sie waren sehr fleißig.«
    Mary lächelte.

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